Frauen behaupten sich in unwirtlicher Umgebung
Eine einleitende Texttafel steckt das Terrain des beobachtenden Dokumentarfilms von Robert Krieg ab. „Trotz alledem“ führt in die kleine autonome Region Rojava in Nordostsyrien, auch bekannt als Syrisch-Kurdistan, Westkurdistan oder „Autonome Administration Nord- und Ostsyrien“. Seit dem Ausbruch des Syrischen Bürgerkriegs leben Kurden und andere ethnische Minderheiten dort in faktischer Selbstverwaltung.
Krieg, der 2018 schon einmal in der Gegend unterwegs war und die Fernsehdokumentation „Experiment Rojava in Syrien – Eine Gesellschaft im Aufbruch“ gedreht hat, legt den Fokus auf Frauen, die „den aufrechten Gang versuchen“. Dass er sich mit dem neuen Film für die Belange der Protagonistinnen engagieren will, verdeutlicht eine Widmung für die „Frauen von Rojava“. Schon in früheren Filmprojekten hat der studierte Soziologe marginalisierte Milieus porträtiert, etwa in „Kinder der Steine - Kinder der Mauer“ (2010) Palästinenser aus Bethlehem, die als „Intifada-Kinder“ herhalten mussten und deren Lebensläufe vom Krieg bestimmt wurden.
Die Spuren des langen syrischen Bürgerkriegs sind auch in der Rojava überall sichtbar. Schutt, unbefestigte Straßen, Armut. Als die Anhänger der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ die Macht in der Kurdenregion ausübten, schloss sich eine der Frauen über Wochen hinweg zuhause ein. Anekdoten wie diese zeichnen ein klares Stimmungsbild. Eine Einordnung der politischen und sozialen Zusammenhänge durch erklärende Kommentare, Fakten oder Archivmaterial aber bleibt aus. In den Gesprächen wird aber deutlich, dass seit der Vertreibung des IS ein freierer Wind weht. Zwar gibt es keine Garantie für das Fortbestehen der Autonomie. Aber Hoffnung.
Ein Panorama des Aufbruchs
Jinwar ist das erste von mehreren, im Film vorgestellten Frauenprojekten in der Region, zu der auch die Großstadt Qamischli an der Grenze zur Türkei gehört. Die Protagonistinnen heißen Argin, Jehan, Delal, Sidan, Ghoufran oder Hiba und vertreten eine Gruppe in Syrien lebender Frauen, die ihre gesellschaftliche Unterordnung nicht mehr hinnehmen wollen. „Trotz alledem“ entwirft ein teilnehmendes, unaufgeregt gefilmtes Panorama der emanzipatorischen Unternehmungen, das mit vielen kleinen Beobachtungen ein Gespür für die Lage vor Ort vermittelt. Weite Landschaftstotalen wechseln mit nahen Porträtaufnahmen. Und wie in „Newo Ziro - Neue Zeit“ (2012) über Sinti und Roma unterteilen kurze musikalische Zwischenspiele mit lokaler Musik die Stationen in Kapitel.
Die Frauen unterrichten Taekwondo und führen Werkstätten, lernen in Kooperativen und im Alltag voneinander und sprechen sich gegenseitig Mut zu. Eine betreibt ein Museum für traditionelle Handwerkskunst, eine andere Gruppe leitet einen Lieferservice, bei dem berufstätige Frauen vorgekochte Mahlzeiten bestellen können. Mitunter dienen Smartphone-Videos und Beiträge in den sozialen Netzwerken zur Verbreitung ihrer Ideen; oder Gespräche im Radio, um jungen Menschen Bleibeperspektiven zu eröffnen. Das Empowerment kommt einer sozialen Revolution gleich, für die sich die Akteurinnen auch eine nicht näher umrissene Hilfe von den „großen westlichen Ländern“ erhoffen – die im unruhigen Syrien aber auf tönernen Füßen steht.
Was man darf und was nicht
In den Interviewsituationen erfährt man von den persönlichen Hintergründen der oft alleinerziehenden Frauen, unter denen die Jüngeren häufig auf eine Kopfbedeckung verzichten. Ihre Erzählungen handeln von Entrechtung und fehlender Unabhängigkeit, von Männern, die im Krieg gefallen sind, oder von Pflegeeltern, die Kinder einfach auf der Straße aussetzten. „Du darfst nicht in die Stadt“ oder „Du darfst nicht arbeiten“ sind Sätze, die im Film immer wieder zu hören sind. Gehen die Töchter arbeiten, rümpft die Nachbarschaft die Nase: „In unserer Gesellschaft behindern wir uns gegenseitig.“
Die Sonnenuntergänge, die mehrmals ins Bild gesetzt sind, wirken melancholisch. Das Aufbegehren ist mühsam und ungewiss, aber von einem Lebenswillen getragen, der immer wieder durchscheint. Eine Autofahrt durch die staubbedeckte Großstadt Qamischli zeigt die Zerstörungen durch den Krieg; den Ruinen stehen nun aber die schönen Orte der Frauen entgegen.