Der Hauptmann
Interview von Barbara Wurm mit Robert Schwentke im Filmdienst
Eintritt: 5 Euro
Deutschland/Polen 2017
Kinostart: 15. März 2018
119 Minuten
FSK: ab16; f
FBW: Prädikat besonders wertvoll
Produktion: Frieder Schlaich und Irene von Alberti (Der lange Sommer der Theorie)
Regie und Drehbuch: Robert Schwentke
Kamera: Florian Ballhaus
Für seine herausragende Kameraarbeit wurde Florian Ballhaus beim San Sebastián Film Festival 2017 mit dem Jurypreis für die Beste Kamera ausgezeichnet.
Ebenso wurde ihm der Deutsche Kamerapreis 2018 in der Kategorie "Kinospielfilm" zuerkannt. Aus der Jury-Begründung: "Der Kameramann Florian Ballhaus nutzt sehr souverän, ja nahezu perfekt die Vielfalt der Schwarz-Weiß-Fotografie. In großen Teilen arbeitet er mit harten Kontrasten, um das Schwarz zu stärken, und einer virtuosen Lichtführung. Stets stilbewusst entwickelt Ballhaus eine außergewöhnliche, so fantasievolle wie bildgewaltige Kamera-Ästhetik. Sie ist, ohne auf vordergründige Effekte zu zielen, geprägt von einem sicheren Gespür für Bildkomposition, Bewegung und Rhythmus."
Schnitt: Michał Czarnecki
Musik: Martin Todsharow
Darsteller:
Max Hubacher (Willi Herold), Frederick Lau (Kipinski), Milan Peschel (Freytag), Bernd Hölscher (Schütte), Waldemar Kobus (Lagerleiter Hansen), Alexander Fehling (Hauptmann Junker) · Samuel Finzi (Roger Kuckelsberg) · Wolfram Koch (Schneider) · Britta Hammelstein (Gerda) · Sascha Alexander Gersak (Sichner) · Marko Dyrlich (Brockhoff) · Jörn Hentschel (Bauer Görner)
Filmseite der Produktionsfirma Filmgalerie451 mit einem Interview mit Regisseur Robert Schwentke
Filmhomepage, Wikipedia, Facebook, alle Daten zum Film auf Filmportal.de
Kritik (4 von 5 Sternen) von Rudolf Worschech auf EPD-Film
Kritik von Christian Horn auf Programmkino.de
Kritik von Elena Witzeck in der FAZ
Kritik von Philipp Bovermann in der Süddeutschen Zeitung
Kritik von Andreas Köhnemann auf Kino-Zeit.de
Kritik von Christian Schröder im Tagesspiegel
Kritik Michael Pilz in der Welt
Kritik von MAxel timo Purr auf artechock film
Kritik von Matthias Dell im Freitag
Kritik von Barbara Schweizerhof in der taz
Kritik von Kaspar Heinrich in der Zeit
Kritik von Tim Evers auf mdr Kultur
Kritik von Georg Kammerer im Neuen Deutschland
Kritik von Rüdiger Suchsland auf SWR2 Info
Kritik von Rüdiger Suchsland auf Telepolis
Interview von Susanne Burg mit Robert Schwentke auf Deutschlandfunkkultur
Interview von Barbara Wurm mit Robert Schwentke im Filmdienst
Interview von Hans Christoph von Bock und Scott Roxborough mit Robert Schwentke in der DW Akademie
Neugier, Stilwillen, Mut
Das 39. Filmfestival Max Ophüls Preis (22.1.-26.1.) eröffnet mit "Der Hauptmann" von Robert Schwentke
von Rüdiger Suchsland
Eröffnet wurde das Festival Max-Ophüls-Preis am Montag mit „Der Hauptmann“. Lilian Harveys „Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“, komponiert vom jüdischen Komponisten Werner Heymann (und daher in der Nazi-Zeit offiziell verboten, aber ungebrochen populär) ist darin gleich mehrmals zu hören. Es wird in diesem Film zum Horrorsong. Der Gefreite Willi Herold summt es, als er, ein Deserteur, in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs plötzlich einen leeren Wagen und darin die perfekte gebügelte Uniform eines Hauptmanns vorfindet. Kleider machen Leute, und so verwandelt sich der Landser, als er sie anlegt, im Nu ein Offizier. Anfangs zögert er noch beim Kommandieren, doch bald ist aus ihm ein schneidiger Schleifer geworden, ein geborener Befehlshaber und fanatischer Nazi. Und ein Massenmörder, der marodierend übers Land zieht und in einem Lager im Emsland über hundert Gefangene ermorden lässt.
Eine düstere Köpenickiade, ohne alle Niedlichkeit, und aus dem wahren Leben des April 1945 gegriffen. Eine abgründige Geschichte über Untertanengeist, deutschen Sadismus und den Zerfall aller Werte in den Jahren des Zivilisationsbruchs unter den Nazis.
Dieser Film stammt von Robert Schwentke, einem Grenzgänger zwischen Hollywood und dem europäischem Autorenkino. In seinem ersten deutschen Film nach mehreren Jahren in den USA (wo er „Insurgent – Die Bestimmung“, „R.E.D.“ und „Die Frau des Zeitreisenden“ drehte) wirft Schwentke einen Blick auf den Nationalsozialismus, wie man ihn trotz hunderter Fernsehdokumentationen und Dutzender Spielfilme noch nie gesehen hat: In Schwarz-weiß und mit Mut zur Geschmacklosigkeit, denn wie könnte man die Entgleisungen der Nazis irgendwie geschmackvoll zeigen, ohne die Opfer zu verhöhnen? Schwentke sieht aber auch genau hin, mit gefriergetrocknetem Humor und Neugier, voller Trauer und spürbarem Entsetzen angesichts des galoppierenden Albtraums. Der Film zeigt den Nationalsozialismus als blutige Travestie, als Hochstapelei und als den Ausbruch unterdrückter Triebe, der er war – endlich einmal ein Film aus Deutschland, der den Nationalsozialismus von seiner abstoßendsten Seite zeigt, ohne NS-Offizielle, die sich gepflegt artikulieren oder irgendwelche „guten Gründe“ für ihre Schandtaten haben, und ohne versteckte Rechtfertigungen.
„Der Hauptmann“ ist insbesondere eine Dekonstruktion der im deutschen Kino so beliebten Figur des Offiziers und der Idee seiner „Ehre“. „Offizier“ ist hier nur eine Form, eine Uni-Form, pure Hochstapelei!
Die Gegenwärtigkeit des Vergangenen
Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder, dass die Triebe derart entfesselt werden. So hofft man, aber sind wir uns heute da noch so sicher? Schwentke überhöht diese wahre Geschichte zu einer Travestie über den Faschismus, und schlägt am Ende den direkten Bogen zur Jetztzeit. Schon zuvor hat er klargemacht, dass uns gar nicht so viel von früher trennt. Auch im Gegenwartsdeutschland gibt es den rassistischen, gewaltbereiten, machtgeilen Mob auf den Straßen. Insofern ist „Der Hauptmann“ ein ganz aktueller, hochpolitischer Film, was das Max Ophüls Preis-Festival umso mehr ehrt, damit die Filmschau zu beginnen. Die anspruchsvolle Bildgestaltung (für die der Film beim Filmfestival San Sebastian einen Preis gewann) stammt von Kameramann Florian Ballhaus, die Hauptrollen spielen Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau und Alexander Fehling.
„Der Hauptmann“ führt insbesondere dem Filmnachwuchs vor Augen, worauf es ankommt, wenn man gutes Kino machen will: nicht auf Geld und Stars, nicht auf Unterwerfung unter ein imaginäres Publikum, nicht auf Charaktere, die man lieben oder immer verstehen muss. Sondern auf Neugier, auf Stilwillen, auf Mut – auch zur eigenen Fantasie
Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film" ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.
Kurzkritik Filmdienst
Im April 1945 schart ein Gefreiter in der Uniform eines Hauptmanns eine Gruppe versprengter Soldaten um sich und verbreitet in der norddeutschen Provinz als „Kampfgruppe Herold“ mit dem Standrecht Angst und Schrecken. In einem Lager werden Strafgefangene willkürlich abgeschlachtet, später zieht die Soldateska marodierend weiter. Nach historischen Vorkommnissen zeichnet das in kontrastreichem Schwarz-weiß stark stilisierte Drama die mysteriöse Selbstermächtigung des Anführers als mörderische Köpenickiade, wobei die Inszenierung die Motivation der Hauptfigur bewusst vage lässt. Mit dieser Leerstelle und der Betonung der Gruppendynamik will der aus der Täterperspektive geschilderte Film eine Brücke in Gegenwart schlagen, setzt sich dadurch aber tendenziell einer Entschuldung der Figur aus. Eine absurde Deutung der historisch belegten Ereignisse klingt zwar an, wird zugunsten einer filmischen Meditation über die Wolfsnatur des Menschen aber nicht vertieft.
Ulrich Kriest - sehenswert (4 von 5 Sternen)
ARD - Titel Thesen Temperamente (ttt) (6 Minuten):
SWR - Kunscht! (5 Minuten):
rbb ZIBB auf der Premiere - Interview mit Milan Peschel (3 Minuten):
artour MDR (6 Minuten):
Trailer (115 Sekunden):