Online für Anfänger

  Freitag, 03. Dezember 2021 - 20:30 bis - 22:20
Treffer: 1322


 
Eintritt: 7,50 €

Originaltitel: EFFACER L'HISTORIQUE
Frankreich 2019
Kinostart:  28. Oktober 2021
106 Minuten
FSK: ab 12; f

Regie/Drehbuch: Benoît Delépine · Gustave Kervern
Kamera: Hugues Poulain 
Schnitt:  Stéphane Elmadjian 

Darsteller:
Blanche Gardin (Marie) · Denis Podalydès (Bertrand) · Corinne Masiero (Christine) · Vincent Lacoste (Sexvideo-Dreher) · Benoît Poelvoorde (Alimazone-Bote) · Vincent Dedienne (Bio-Bauer) · Jean-Louis Barcelona (Mürrischer Kellner) · Candy Ming (Postkassiererin) · Joseph Dahan (Postkassierer) · Bouli Lanners ("Gott") · Philippe Rebbot (Simulant) · Michel Houellebecq (Selbstmordkandidat) · Denis O'Hare (Amerikanischer Millionär) · Gustave de Kervern (Anderer Dodo) · Jean Dujardin (Pandajäger auf Foto)

Filmwebseite, WIKIPEDIA

Berlin 2020 Spezialpreis der Jury ("Silberner Bär"): Benoît Delépine, Gustave Kervern

Kritiken: 
Kritik von Birgit Roschy im Filmmagazin EPD (4 von 5 Sternen)
Kritik von Marius Nobach im Filmdienst (3 von 5 Sternen)
Kritik von Bert Rebhandl für die FAZ
Kritik von Anke Sternborg für rbb Kultur (4 von 5 Sternen)
Kritik von Gunda Bartels im Tagesspiegel
Kritik von Christiane Peitz auf Kinozeit
Kritik von Jonas Nestroy für critic.de
Kritik von Bettina Peulecke auf NDR Kultur
Kritik von Martin Schwickert für die Augsburger Allgemeine
Kritik von Stephanie Grimm, auf Kunst & Film (3 von 6 Sternen)
Kritik von Bianka Piringer für Spielfilm.de (3 von 5 Sternen)
Kritik von Lutz Granert für Filmstarts.de (3 von 5 Sternen)
Kritik von Valerie Dirk für den Wiener Standard
Kritik von Christian Pogatet für uncut.at
Kritik von Jörg Taszman für Deutschlandfunkkultur
Kritik von Madeleine Eger für Filmrezensionen.de
Kritik von Dieter Oßwald auf Programmkino.de (Gilde deutscher Filmkunsttheater)


Interview mit den beiden Regisseuren in der taz


Trailer (127
Sekunden):

ausführliche Kritik Filmdienst
Komödie um drei Nachbarn, die sich in den Fallstricken der digitalen Welt verfangen haben, aber nach Auswegen suchen.

Eine freundliche Stimme wirkt Wunder. Wenn der alleinerziehende Witwer Bertrand am Telefon mit Miranda spricht, fällt es ihm noch leichter als sonst, auf Werbeanrufe einzugehen und sich weitere Dinge für sein Zuhause zu bestellen. Miranda ist geduldig und scheint all seine Wünsche zu kennen; sie widerspricht auch nicht, wenn Bertrand die Ebene der Verkaufsgespräche verlässt und auf seine persönlichen Probleme zu sprechen kommt. Denn so sehr der Bewohner einer Wohnsiedlung in einer französischen Provinzstadt im Allgemeinen das digitale Zeitalter schätzt, kennt er doch auch dessen Schattenseiten.

Seine Tochter traut sich nicht mehr in die Schule, seit sie von Schulkameraden gequält und ein Video des Vorfalls in sozialen Netzwerken platziert wurde; sämtliche Briefe des betroffenen Vaters an Facebook blieben ohne Reaktion. Zudem versucht Bertrand, ein Abo seiner verstorbenen Frau zu kündigen, scheitert aber online und am Telefon wie auch beim persönlichen Kontakt mit dem Vertragspartner. Logisch, dass er immer noch mehr Zeit mit der sanften Stimme am Telefon verbringen will.

Die dunklen Seiten der Internet-Ära

Immerhin ist Bertrand nicht allein mit seinen Problemen. Zwei seiner Nachbarinnen hat es ähnlich schwer erwischt. Die chaotische Marie ist nach der Scheidung endgültig dem Tran verfallen, verkauft immer mehr ihrer Möbel und hat obendrein ein Alkoholproblem; nach einer Nacht mit einem jungen Zufallsbekannten erweist sich dieser als Erpresser, der den gemeinsamen Sex gefilmt hat und das Video online stellen will, falls Marie ihm nicht 10.000 Euro zahle.

Christine hingegen hat sich nach einer Lebenskrise – eine heftige Sucht nach Fernsehserien kostete sie den Job in einem Atomkraftwerk – halbwegs wieder berappelt und arbeitet als Fahrerin für einen Chauffeurdienst. Ihre schlechte Laune und unzufriedene Passagiere ergeben jedoch eine ungute Mischung, die sich regelmäßig in miserablen Online-Bewertungen niederschlägt; auch sie hat daher gute Gründe, die digitale Ära nicht nur in positivem Licht zu sehen.

„Online für Anfänger“ des französischen Regieduos Benoît Delépine und Gustave Kervern setzt in einer Welt an, in der die digitale Allgegenwart noch ein wenig umfassender alle Bereiche des Lebens erfasst hat, als sie es in der Realität bereits tut. Insbesondere das zentrale Trio des Films hat sich von Internet, Online-Shopping, sozialen Medien, Streamingdiensten und Fernsehen vereinnahmen lassen und wird von ihnen in immer neue, psychisch zermürbende und kostenintensive Richtungen gesteuert.

Die Auswüchse digitaler Hörigkeit

Offensichtliche Zeichen ihrer Abhängigkeit finden sich überall im Set-Design: So ist Maries Kühlschrank ohne Nahrung, dafür aber eine ganze Wand mit Computer-Passwörtern bedeckt; um ihr Handy aufzuladen, muss sie sich durch einen Kabelsalat den Weg bahnen. Missgünstige Nachbarn fotografieren derweil falsch entsorgten Müll, Lieferservice-Mitarbeiter schleppen sich bis zur Erschöpfung ab und immer neue Betrugsmaschen drängen auf die Menschen ein; so gut wie abgeschafft ist dagegen die Infrastruktur, von Service kann in den letzten Post- und Bankfilialen keine Rede mehr sein.

Das sind Zustände, die Marie, Bertrand und Christine veranlassen, etwas zu unternehmen, um aus ihren Problemlagen herauszukommen. Mit einem Angriff an gezielter Stelle wollen sie die fatalen Videos sowie die schlechte Einstufung aus dem Netz tilgen, auch wenn das heißt, sich mit den Riesen unter den Internet-Konzernen anzulegen.

Bei ihrer Satire auf Digitalhörigkeit und die Auswüchse des Daseins mit dem Internet gelingt den Regisseuren eine beachtliche Gag-Dichte. Die beiden Filmemacher überschlagen sich geradezu mit immer neuen Ideen, die einerseits im vertrauten Umgang mit den geschilderten Problemen wurzeln, andererseits aber völlig überzogen sind. Die Hauptfiguren sind zwar permanent überfordert, akzeptieren den Irrsinn ihres Lebens aber als Normalzustand einer modernen Gesellschaft; aufstandswillig werden sie nur, weil sie ihren sozialen Status wieder aufwerten wollen.

Eher deftig als subtil

Blanche Gardin, Denis Podalydès und Corinne Masiero spielen die digital Geschädigten mit viel Lust an der Übertreibung, die zum eher deftigen als subtilen Humor der Sequenzen passt. Eine episodenartige Struktur hatte das Regie-Duo Delépine/Kervern auch schon in früheren Arbeiten wie „Mammuth“ oder „Saint Amour“ verfolgt, in „Online für Anfänger“ wird sie allerdings derart forciert, dass der Film eher wie eine Abfolge von lose verbundenen Sketchen wirkt. Auch, weil der Film mit Gastauftritten charismatischer Spielpartner wuchert: Benoît Poelvoorde als Lieferant am Ende seiner Kraft, Philippe Rebbot als Sozialschmarotzer, Michel Houellebecq als Lebensmüder, Bouli Lanners als mystischer, in einem Windrad hausender Hacker namens „Gott“, Jean Dujardin für einen Dreisekunden-Foto-Gag – sie alle schneien kurz und durchaus einprägsam vorbei, was die Unverbindlichkeit der Haupthandlung aber noch deutlicher unterstreicht.

Neben der Fülle an Einzeleinfällen geraten dem Film die zentralen Schicksale aus dem Blick; auch fällt die Gesellschaftskritik ziemlich schwammig aus. Was eine Parabel auf die Hölle der durchdigitalisierten, im wahrsten Sinne „entmenschlichten“ Moderne hätte werden können, erscheint milder und letztlich in manchem Punkt auch trivialer als nötig. Dazu tragen auch die Hauptfiguren viel bei. Denn Marie, Bertrand und Christine wirken keineswegs wie schuldlose Opfer eines übermächtigen Systems, sondern vielmehr schlicht dumm.

Ohne ein rechtes Ziel

Filmemacher wie Jacques Tati oder Bertrand Blier hatten in ihren Kinoentwürfen moderner Gesellschaften kaum einen Zweifel gelassen, dass die Figuren den grotesken Verhältnissen nicht entkommen können, Delépine und Kervern gestehen ihren Protagonisten hingegen so wenig Einsicht in die Absurdität der Welt zu, dass die drei wie Idioten wirken, die selbst für ihre Misere verantwortlich sind. Eine gemeinsame Vergangenheit in der „Gelbwesten“-Bewegung ist deshalb ein ziemlich irritierender Einfall: Wollen die Regisseure die Abkehr von den Sozialprotesten als Sündenfall verstanden wissen? Oder halten sie das Engagement für die „Gelbwesten“ insgeheim für vergleichbar mit der Auslieferung an digitalen Unfug?

„Online für Anfänger“ bleibt bei aller Unterhaltsamkeit am Ende vage. Wenn die Hauptfiguren einmal mit dem Auto Runde um Runde im Kreisverkehr drehen, ist das ein durchaus passendes Sinnbild für den Film, der auf kein rechtes Ziel zusteuert.

Eine Kritik von Marius Nobach