Der Landarzt von Chaussy

  Freitag, 18. November 2016 - 20:30 bis - 22:20

Eintritt: 5,00 €

MÉDECIN DE CAMPAGNE
Komödie Frankreich 2016
Kinostart: 8. September 2016
102 Minuten
FSK: ab 0; f
 
Regie & Drehbuch: Thomas Lilti
Kamera: Nicolas Gaurin
Musik: Alexandre Lier, Sylvain Ohrel, Nicolas Weil
Schnitt: Christel Dewynter

Darsteller:
François Cluzet (Jean-Pierre Werner), Marianne Denicourt (Nathalie Delezia), Isabelle Sadoyan (Werners Mutter), Félix Moati (Vincent Werner), Christophe Odent (Norès), Patrick Descamps (Maroini), Guy Faucher (Sorlin), Margaux Fabre (Ninon), Julien Lucas (Ninons Freund), Yohann Goetzmann (Alexis)
Filmagentinnen, 4W45000

Filmhomepage, Programmkino.de, EPD-Film
Kinotipp der katholischen Filmkritik September 2016

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
Als bei einem Landarzt ein Tumor entdeckt wird, weigert sich dieser starrsinnig, beruflich kürzerzutreten. Auch eine zur Unterstützung eingestellte Ärztin lehnt er zunächst ab und macht ihr das Leben schwer, bis sich die unerfahrene Frau im Umgang mit den alltäglichen Herausforderungen als kompetente Medizinerin erweist. Lebensnahes, oft dokumentarisch anmutendes Drama, das dem aussterbenden Beruf des Landarztes Reverenz erweist. Getragen von sensiblen Figuren und guten Schauspielern, thematisiert der Film unaufdringlich die Mängel des französischen Gesundheitssystems.ern.
Sehenswert ab 14.


Trailer (131 Sekunden):


ZDF - "Neu im Kino" (4 Minuten):


ausführliche Kritik Filmdienst
„Tumor im linken Schläfenlappen. Inoperabel.“ Jean-Pierre Werner ist Arzt. Er weiß, was diese Diagnose bedeutet. In seinem Fall ist der Tumor begrenzt, doch auch das bedeutet: Chemotherapie, vielleicht Bestrahlung, Nebenwirkungen. Er muss beruflich kürzertreten. François Cluzet spielt sehr überzeugend einen Mediziner, der sich zwischen Lakonie und Zugewandtheit seit Jahrzehnten um seine Patienten kümmert. Nun müsse er selbst Unterstützung suchen, wie ihm der behandelnde Arzt und Freund im Krankenhaus rät. Macht er aber nicht, weil er immer sein eigener Herr war. Die nordfranzösische Region Île-de-France um Chaussy, die herbe Landschaft und die mitunter ebenso herben Menschen sind sein Revier. Weil sein Freund mit diesem Starrsinn rechnet, schließlich stammt Jean-Pierre selbst aus dieser Region, schickt er ihm eine Ärztin, die eines Tages ohne Ankündigung in der Praxis steht. Die selbstbewusste Nathalie ist bereits Ende 40, hat aber gerade erst ihr Studium beendet und davor als Krankenschwester gearbeitet. Jean-Pierre lässt sie anfangs ordentlich auflaufen: Er nimmt sie mit zu einem Patienten, von dem er ahnt, dass dieser die neue Ärztin nicht hereinlassen wird. Bei der nächsten Station, einem Bauernhof, wird sie von einer Horde schnatternder Gänse verfolgt. All das findet Nathalie nicht so lustig.

Regisseur Thomas Lilti hat selbst Medizin studiert und als Arzt praktiziert, vertretungsweise auch als Landarzt. Praktisch jede Filmszene atmet dieses Wissen um Handgriffe und Haltung. Obwohl Lilti bis auf wenige Ausnahmen nur mit professionellen Schauspielern gedreht hat, wirkt das Geschehen, insbesondere die Behandlung der Patienten in der Praxis oder bei Hausbesuchen lebensnah, bisweilen fast naturalistisch oder dokumentarisch und überdies in der Region verwurzelt. Solche Szenen ergänzen die Geschichte um Nathalie und Jean-Pierre, die langsam den Horizont des jeweils anderen verstehen lernen. So erfährt Nathalie, dass man Patienten besser ausreden lässt. Ein Arzt unterbreche seine Patienten alle 22 Sekunden; oft sei die Diagnose schon in den manchmal langatmigen Ausführungen enthalten.

In den eingewobenen Fakten, den Behandlungsszenen und einigen lokalpolitischen Exkursen übt Lilti viel Kritik, auch im Kleinen. Bei einem Patienten geht es etwa darum, in Würde zu Hause sterben zu dürfen und wie das im Rahmen einer ländlichen Gemeinde zu organisieren sei. Dass dies alles nicht exemplarisch wirkt, ist neben der anrührenden Erzählweise der sensiblen Figurenzeichnung und den aufmerksam inszenierten Schauspielern zu verdanken. Die Filmmusik ist ungewöhnlich, aber sehr passend, sie wird sparsam eingesetzt und wirkt besonders in den emotionalen Momenten umso intensiver. Die Inszenierung wahrt durchgängig eine Leichtigkeit und webt immer wieder amüsante Momente in die Handlung. „Der Landarzt von Chaussy“ ist eine Hommage an einen aussterbenden Beruf.

Julia Teichmann, FILMDIENST 2016/18