Hollywoodgate – Ein Jahr unter den Taliban

Hollywoodgate – Ein Jahr unter den Taliban

Donnerstag, 04. September 2025 - 19:30

Ort: Kino achteinhalb

http://rollingnarratives.net/hollywoodgate

Kategorien: Eintritt frei, Dokumentarfilm, Demokratie leben, Nominierung Deutscher Filmpreis - Lola, CineGlobal

Treffer: 562


Eintritt: frei

Deutschland/USA 2023
Regie, Drehbuch, Kamera: Ibrahim Nash'at
Laufzeit: 91 Minuten
Kinostart: 14. August 2025
FSK: ab 16

IMDB: 12 Filmpreise plus 22 Nominierungen 

Webseite, Wikipedia, Presseheft
alle Daten zum Film auf Filmportal.de   
Deutscher Filmpreis
Pressespiegel (Kurzzitate)

Kritiken:
Kritik von Irene Gerhart für den Filmdienst (4 von 5 Sternen)
Kritik von Silvia Hallensleben für EPD-Film (4 von 5 Sternen) 
Kritik von Falk Straub für Filmrezensionen.de (7 von 10 Sternen) 
Kritik von Reinhard Kleber für Kino-Zeit.de (4 von 4 Sternen) 
Kritik von Jörg Brandes (RND) für die Cellesche Zeitung (4 von 5 Sternen)

FilmTipp und Filmpädagogisches Schulmaterial bei Vision Kino

Deutschlandfunkkultur  (16 Minuten)

Interview von Kajo Roscher mit Regisseur Ibrahim Nash'at für die Dokumentale
Interview von Tim Lewis mit Regisseur Ibrahim Nash'at für den Guardian

Trailer (132 Sekunden):

  

Film Talk I DOK.fest München 2024 (38 Minuten):
  

Zürich Film Festival – Ibrahim Nash'at about HOLLYWOODGATE (4 Minuten):
  

HOLLYWOODGATE setzt dort an, wo der Rest der Welt aufgehört hat, nämlich unmittelbar nach dem chaotischen Abzug der Vereinigten Staaten aus Afghanistan im August 2021. Wenige Tage, nachdem das letzte US-Flugzeug afghanischen Boden verlassen hat, dringen die Taliban, die nun die Kontrolle über das Land haben, in einen amerikanischen Stützpunkt in Kabul namens Hollywood Gate ein, der angeblich eine geheime CIA-Station war. Dort finden sie einen Teil der hochentwickelten amerikanischen Waffen im Wert von über 7 Milliarden Dollar, die im Land zurückgelassen wurden: zahlreiche Kleinwaffen und Munition, Kampfjets, Black-Hawk-Hubschrauber und andere militärische Ausrüstung. Vieles davon ist beschädigt, aber die Basis ist auch mit vielen Teilen ausgestattet, die zur Reparatur benötigt werden.
Regisseur Ibrahim Nash'at wird in seinem beispiellosen und kühnen Film HOLLYWOODGATE Zeuge, wie der neue Chef der afghanischen Luftwaffe, Mawlawi Mansour - ein Taliban, dessen Vater von den Amerikanern getötet wurde - seinen Soldaten befiehlt, alles zu inventarisieren und zu reparieren, was sie können. Die Männer machen sich an die Arbeit, die Waffen zu restaurieren und sich selbst im Umgang mit ihnen zu schulen. Unter ihnen ist Muhktar, ein ehemaliger Taliban-Kämpfer, der jetzt eine hochrangige Militärkarriere anstrebt und davon träumt, den Krieg zu rächen. 

HOLLYWOODGATE folgt Mawlawi Mansour und Mukhtar ein Jahr lang, während sich die Taliban von einer fundamentalistischen Miliz in ein schwer bewaffnetes Militärregime verwandeln, das sich auf einen Krieg jenseits der Grenzen Afghanistans vorbereitet. Nash'at, ein ägyptischer Journalist, dem ein einzigartiger, aber schwieriger Zugang zu Afghanistan gewährt wird, dokumentiert, was die Taliban ihm zu sehen gestatten, und fängt dabei zutiefst aufschlussreiche Momente ein, die den Kern der Identität der Gruppe treffen. Zu einem Zeitpunkt in der Geschichte, an dem Propaganda und Autoritarismus weltweit auf dem Vormarsch sind - und an dem die Taliban selbst auf Propaganda im Hollywood-Stil zurückgreifen, um sich zu legitimieren - bietet HOLLYWOODGATE den Zuschauern ein erschreckendes und unverzichtbares Porträt dessen, was heute in Afghanistan geschieht.

Ausführliche Kritik von Irene Gerhart für den Filmdienst:
Dokumentarische Beobachtungen über das erste Jahr der Taliban-Herrschaft in Afghanistan, die einen unmittelbaren Einblick in die Genese einer Militärdiktatur gewähren. 

Wenige Tage, nachdem die Taliban Ende August 2021 die Herrschaft in Afghanistan errungen und die letzten US-Soldaten Kabul verlassen hatten, reiste der Journalist Ibrahim Nash’at nach Afghanistan. Der gebürtige Ägypter hatte sich in den Jahren davor eingehend mit den politischen Führern der Welt beschäftigt. Nun möchte er beobachten, wie sich die Taliban von einer Milizgruppe in eine islamistische Regierung transformieren, die fundamentalistischen Vorstellungen anhängt.

Was die Taliban erlauben

Dank seiner guten journalistischen Kontakte gelingt es ihm relativ leicht, ins Land einzureisen. Er kommt mit dem jungen Talibankämpfer Mutkhatar in Kontakt, der auf eine Militärkarriere hofft. Aber auch mit dem frisch zum Chef der Luftwaffe beorderten Mawlawi Mansour. Beide gestatten ihm, sie im Rahmen der von den Taliban diktierten Bedingungen zu filmen. Konkret bedeutet dies, dass Nash’at ausschließlich Taliban filmen darf und er die Kamera ausschalten muss, sobald sie dies befehlen. Tatsächlich finden sich in „Hollywoodgate“ einige Szenen, in denen Nash’at die Kamera so lange laufen lässt, bis sich ihm jemand nähert und die Linse mit der Hand abdeckt.

Zu Beginn erklärt Nash’at sinngemäß, dass er das zeigen wolle, was die Taliban ihm zeigten. Weit wichtiger aber sei, was er selbst gesehen habe. In „Hollywoodgate“ präsentiert er eine Mischung aus beidem. Vieles erinnert an Bilder, wie man sie aus der Berichterstattung von „Embedded Journalists“ kennt. Nash’at zeigt Dinge, die spürbar für die Kamera inszeniert wurden. Etwa eine Gruppe junger Taliban, die mit hochmodernen Gewehren aus einem aufgelassenen US-Stützpunkt in einer menschenleeren Gegend Schießübungen veranstalten. Oder eine Rede von Mawlawi Mansour, als er auf dem kargen Gelände eines einst von den US-Amerikanern kontrollierten Militärstützpunkts eine Baumpflanzaktion startet, in der er sich in seltsame Faseleien über das Verhältnis von Westlern und ihren Frauen verstrickt.

Aus dem Auto heraus

Nicht alles in „Hollywoodgate“ lässt sich klar verorten. Nash’at, der meist auch die Kamera führte, drehte oft nachts oder filmte aus dem fahrenden Auto heraus. Häufig sieht man Straßenszenen aus Kabul oder von Fahrten ins Hinterland. Einmal zeigen ihm die Taliban in dunkelster Nacht die Höhlen, in denen sie sich in ihren kämpferischen Jahren versteckt hatten. Hin und wieder finden sich Szenen, die in einem Spiegel gefilmt sind, wobei auch Nash’at gelegentlich mit ins Bild gerät.

Nash’at hat Mutkhatar und Mawlawi Mansour ein Jahr lang begleitet. Das erste Mal war er mit der Kamera dabei, als die Taliban im September 2021 die Hallen eines US-Militärstützpunktes inspizierten. Den Titel „Hollywoodgate“ verdankt der Film einem der mit „Hollywood Gate“ beschrifteten Tore. Neben zerstörtem Mobiliar, IT- und Büro-Inventar fanden die Taliban dort ein riesiges Medikamentenlager, Waffen und Munition, Werkzeuge sowie viele Ersatzteile für die im Stützpunkt zurückgelassenen Flugzeuge.

Die Flugzeuge werden flottgemacht

Der Wert des US-Materials wird auf über sieben Milliarden Dollar geschätzt. Als gegen Ende des Films Ärzte das Lager inspizieren, haben viele Medikamente ihr Verfallsdatum überschritten. Die Ersatzteile aber werden genutzt, um die Flugzeuge wieder auf Vordermann zu bringen. Und mit den Waffen rüsteten die Taliban ihre Kämpfer aus. Mansour ist sichtlich stolz, dass er ein Jahr nach der Machtübernahme bei der Jubiläumsfeier die Fliegerflotte vorführen kann. Es ist eine reine Machtdemonstration, an die sich unmittelbar die Forderung knüpft, nun endlich gegen Tadschikistan vorzugehen, das den Feinden der Taliban seit langem Schutz und Herberge gewährt.

Man kann in „Hollywoodgate“ Schritt für Schritt mitverfolgen, wie Mansour an Selbstsicherheit gewinnt und wie Mutkhatar zum Piloten ausgebildet wird. Das Land verwandelt sich in dieser Zeit in ein Militärregime, das auch dank der US-Army über ein ziemlich modernes Waffenarsenal verfügt.

Man stößt aber auch auf einige Vignetten anderen Inhalts. Sie zeigen splitterhaft quirlige Straßenszenen. Autos, Marktstände, Männer und Frauen. Es gibt Aufnahmen von Handgemengen und Querelen, aber auch eine Szene, in der Männer Burka-tragende Frauen in aller Öffentlichkeit auspeitschen. Ob der Soldat, der einer vor ihm auf dem Boden knienden Frau ein Gewehr an den Hinterkopf hält, den Abzug betätigt, erfährt man nicht, weil die Szene unmittelbar geschnitten ist.

Ein quälendes Zeitdokument

Ibrahim Nash’at hat „Hollwoodgate“ vom September 2021 bis zum September 2022 gefilmt. Es ist eine Momentaufnahme und ein rares Zeitdokument. Von ihm ausgehend wäre über vieles zu sprechen, was im Film nur kurz aufblitzt oder unterschwellig mitschwingt. Etwa darüber, dass eine Frau diesen Film vermutlich nie hätte drehen können. Oder über die fatale Arroganz fundamentalistisch agierender Machtinhaber, die sich immer im Recht glauben. Über ihre krude Missachtung der Menschenrechte und die Ignoranz gegenüber allem, was man als human bezeichnet. Und die schamlose Herabwürdigung und gewalttätige Unterdrückung der Frauen.

Oder über Dummheit, die mitschwingt, wenn ein junger Taliban sich brüstet, eine Ärztin geheiratet zu haben, die jetzt aber nicht mehr praktiziert, weil er ihr das verboten habe. Dass seine Söhne dereinst gar keine Ärztin mehr heiraten können, weil im Taliban-Staat Mädchen nur noch bis zur sechsten Klasse die Schule besuchen, kommt ihm nicht in den Sinn.

„Hollywoodgate“ ist kein leicht verdaulicher Film. Die Botschaft, die in ihm mitschwingt, ist ein Warnruf vor dem, was sich derzeit weltweit anzubahnen scheint. Vor dem sollte man nicht die Augen verschließen.