Heimatland

  Freitag, 21. Oktober 2016 - 20:30 bis - 22:20

Eintritt: 5,00 €

Schweiz 2015
Kinostart: 28. Juli
99 Minuten
FSK: ab 12; f
 
Regie: Jan Gassmann (künstlerische Leitung), Michael Krummenacher (künstlerische Leitung), Lisa Blatter, Gregor Frei, Benny Jaberg, Carmen Jaquier, Jonas Meier, Tobias Nölle, Lionel Rupp, Mike Scheiwiller    

Buch: Lisa Blatter, Gregor Frei, Jan Gassmann, Benny Jaberg, Carmen Jaquier, Michael Krummenacher, Jonas Meier, Tobias Nölle, Lionel Rupp, Mike Scheiwiller, Michèle Wannaz    

Kamera: Simon Guy Fässler, Denis Lüthi, Gaetan Varone    
Musik: Dominik Blumer    
Schnitt: Kaya Inan    

Darsteller:
Luna Arzoni (Alice), Nicolas Bachmann (Silvan), Egon Betschart (Roger), Soumeya Ferro-Luzzi (Nina), Morgane Ferru (Livie), Roberto Garieri (Eric), Julia Glaus (Sandra), Liana Hangartner (Rosi), Peter Jecklin (Peter), Gabriel Noah Maurer (Kevin), Dashmir Ristemi (Goran), Isaka Sawadogo (Schwarzer Mann), Michèle Schaub-Jackson (Eveline), Florin Schmidig (Adrian), Viola von Scarpatetti (Sascha)


HEIMATLAND
gewinnt den Max-Ophüls-Preis für den gesellschaftlich relevanten Film.
Die Jury Begründung: HEIMATLAND meistert mit Bravour die schwierige Aufgabe, einen kohärenten Film aus zehn verschiedenen persönlichen Perspektiven, auf die Situation in einem Land in einer fiktiven Extrem-Situation zu werfen. Die Relevanz des filmischen Anliegens wird durch die aktuellen politischen Ereignisse mehr als bestätigt und prädestiniert dieses Werk ganz besonders für die Auszeichnung als politisch relevanten Film.

 
Filmhomepage, Programmkino.deEPD-Film, alle Daten zum Film auf Filmportal.de   
Süddeutsche Zeitung: Begrenzte Apokalypse
Deutschlandradio Kultur: Michael Krummenacher im Gespräch mit Liane von Billerbeck
Deutschlandradio Kultur: Eine kollektive Schweizer Dystopie
SWR2 - Kritik von Rüdiger Suchsland: Drohende Wolken über der Schweiz
Die Welt: Hurra, die Schweiz geht unter!

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
In der herbstlichen Schweiz taucht über dem Land eine rätselhafte Wolke auf, die den Menschen Furcht einflößt, zumal Experten feststellen, dass sie stetig wächst und ihre Entladung nur eine Frage der Zeit ist. Während die Wolke wie ein Damoklesschwert über der Schweiz hängt, reagieren die Menschen höchst unterschiedlich darauf. Dies ist die Ausgangssituation für eine symbolisch aufgeladene Kompilation aus zehn Kurzfilmen junger Schweizer Filmemacher, in denen sich angesichts eines möglichen Weltuntergangs Ängste und Hoffnungen offenbaren und Konsequenzen aus einem Leben in politischer und sozialer Abschottung andeuten. Die vielsagende, sensorisch interessante Bestandsaufnahme verdichtet formal geschickt die unterschiedlichen Sicht- und Herangehensweisen, die gleichwohl heterogen bleiben und nicht allzu tief loten.
Sehenswert ab 14.


Trailer (109 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst

Eine Wolke schiebt sich über die Schweiz. Sie formt sich frühmorgens in den innersten Schweizer Alpen, dem Gotthard-Massiv. Am „Urquell“ der Schweiz sozusagen, da, wo die vier in die verschiedenen Landesteile führenden Flüsse Rhone, Reuss, Rhein und Ticino entspringen. Leise heult der Wind. Feine Wasserschleier geistern aus tiefer Felsenkluft. Kringeln sich über munter sprudelnden Rinnsalen, entschweben gemächlich in die Lüfte. Ein hübsches Naturschauspiel ist das, still beobachtet von Reh und Krähe. Leise säuselt der Soundtrack, verzögert setzt die Musik ein, in den ersten Takten auf Traditionelles verweisend. Doch die Idylle trügt. Sie ist bloß der Boden, aus dem heraus eine düstere Dystopie erwächst.

„Heimatland“ ist ein Omnibusfilm von zehn Schweizer Filmemachern: zwei Frauen, Lisa Blatter und Carmen Jaquier, und acht Männern. Initiiert wurde das Projekt von Michael Krummenacher und Jan Gassmann, Absolventen der HFF München. Die hatten nach den Erfolgen der eidgenössischen Volksinitiativen „Gegen den Bau von Minaretten“ im November 2009 und „Gegen Masseneinwanderung“ im Februar 2014 ihre liebe Not, die mit den Abstimmungen verbundenen Themen wie Abschottung, Einigelung oder ein Klima der Angst ihren Mitstudenten verständlich zu machen. Diese Themen finden sich auch in „Heimatland“ wieder, auch wenn der Film explizit „keine Analyse der Politlandschaft“ vornimmt, wohl aber „hinter die sauber geputzten und frisch renovierten Fassaden von Schweizer Ideologien“ schauen will.

Die Geschichte der Wolke, die sich binnen weniger Stunden bedrohlich düster über alle Landesteile ausbreitet und wie eine Isolierglocke über Helvetien hängt, bildet den Rahmen. Dem anfänglichen Staunen über das seltene Naturphänomen – der Film ist phasenweise ziemlich überwältigend – folgt die Bewusstwerdung einer Katastrophe. Erst warnen die Meteorologen vor einem aufziehenden Sturm. Nachdem elektromagnetische Entladungen zunehmend Störungen verursachen, alle elektrischen Geräte inklusive der Sicherheitssysteme ausfallen und der Flugverkehr eingestellt wird, herrscht Katastrophenalarm.

In diese Story der wachsenden Wolke, die aus unerklärlichen Gründen exakt an der Landesgrenze stoppt, sind neun andere Geschichten hineingeflochten. Sie zeigen, wie sich die Schweizer angesichts der heraufziehenden Bedrohung verhalten. Die einen ignorieren den Sturm, andere verbarrikadieren sich ängstlich zu Hause. Manche feiern ekstatisch den Weltuntergang, ein paar wollen nur noch weg aus diesem offensichtlich dem Untergang geweihten Land.

Ein Gemeinschaftswerk wie „Heimatland“, in dem verschiedene Stile und Handschriften zusammenfinden, birgt immer ein gewisses Risiko. Doch Krummenacher und Gassmann haben die anderen Filmemacher nicht nach Geschlecht, Sprachzugehörigkeit oder Herkunft ausgesucht, sondern unter den 23 eingesandten Exposés diejenigen ausgewählt, die am besten zum Wolken-Szenario passten. Das Resultat gibt ihnen Recht: „Heimatland“ wirkt in Stil und Look, aber auch inhaltlich wie aus einem Guss. Überdies ist der optisch brillante Film mitunter ungemein witzig, berührend und immer latent politisch, weil er als pointiert-geschliffene helvetische Gesellschaftssatire nicht nur vor einer Klimakatastrophe warnt.

Irene Genhart, FILMDIENST 2016/15