Can you ever forgive me? – "Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber"

  Freitag, 12. April 2019 - 20:30 bis - 22:25

eigener Text Kino achteinhalb:
"Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber" dieser legendäre Ausspruch von Dorothy Parker
steht exemplarisch für den Charme der Komödie und Biopics "Can you ever forgive me?" Der Filmtitel ist zugleich der Buchtitel der Memoiren von Lee Israel (gespielt von Melissa McCarthy, die hierfür eine Oscarnominierung erhielt), der kongenialen Fälscherin der teuer gehandelten Briefe Dorothy Parkers.
Diese Kritik der Süddeutschen Zeitung trifft es ziemlich gut. – Nebenbei bemerkt, das Filmplakat ist denkbar unzutreffend.


Eintritt: 5,00 €

USA 2018
Kinostart: 21. Februar 2019
107 Minuten
FSK: ab 0; f
FBW: Prädikat besonders wertvoll

Regie: Marielle Heller
Drehbuch: Nicole Holofcener und Jeff Whitty 
Kamera: Brandon Trost
Musik: Nate Heller
Schnitt: Anne McCabe 

Darsteller:
Melissa McCarthy (Lee Israel), Richard E. Grant (Jack Hock) · Dolly Wells (Anna) · Ben Falcone (Alan Schmidt) · Gregory Korostishevsky (Andrei) · Jane Curtin (Marjorie) · Stephen Spinella (Paul) · Christian Navarro (Kurt) · Anna Deavere Smith (Elaine), Marc Evan Jackson (Lloyd)

Auszeichnungen:
IMDB: 50 Filmpreise plus 85 Nominierungen 
WIKIPEDIA (Auswahl)

FilmhomepageWikipedia

Kritiken:
Kritik von Patrick Heidmann im Filmmagazin EPD (5 von 5 Sternen)
Kritik von Franz Everschor im Filmdienst (4 von 5 Sternen)
Kritik von Michael Ranze auf Programmkino.de
Kritik von Susan Vahabzadeh in der Süddeutschen Zeitung
Kritik von Jenni Zylka im Tagesspiegel
Kritik von Barbara Schweizerhof in der Freitag
Kritik von Daniel Kothenschulte in der Frankfurter Rundschau
Kritik von Sonja Hartl auf Kino-Zeit.de
Kritik von Axel Timo Purr auf artechock
Kritik von Bianka Piringer auf Spielfilm.de
Kritik von Oliver Kube auf Wessels-Filmkritik.com 
Kritik von Oliver Armknecht auf Film-Rezensionen.de
Kritik von Karl Gedlicka im Wiener Standard

Interview von Patrick Heidmann mit Melissa McCarthy in der FAZ 

Trailer (129 Sekunden):


ausführliche Kritik Filmdienst:
Bewegendes Porträt der lesbischen US-Schriftstellerin Lee Israel, die aus einer finanziellen Notlage heraus Briefe von verstorbenen Berühmtheiten zu fälschen beginnt und sich bei deren Verkauf der Hilfe eines homosexuellen Freundes bedient.

Feministische Filme sind in Hollywood keine Besonderheit mehr, aber immer noch die Ausnahme. Ein biografisches Porträt einer lesbische Frau in ihren Fünfzigern, die in den Augen der Regisseurin Marielle Heller so „etwas wie ein feministischer Anti-Held“ ist, durchbricht allerdings nach wie vor Grenzen und Vorbehalte. Besonders deshalb, weil sich der Film keine Mühe gibt, die in ihrem Äußeren und ihrem Verhalten gegenüber der Umwelt ziemlich unattraktive Heldin schönzureden.

Das von Nicole Holofcener und Jeff Whitty verfasste Drehbuch basiert auf einer 2008 erschienenen Autobiografie der Schriftstellerin Lee Israel. Mit Büchern über Tallulah Bankhead und Estee Lauder hatte Lee Israel einst Erfolg gehabt. Aber das ist in den 1990er-Jahren lange her. In Antiquariaten werden ihre Romane inzwischen für ein paar Dollar verscherbelt. Lee, die Katzen immer schon mehr liebte als Menschen, lebt in einer schäbigen New Yorker Behausung, in der man die Fenster aufreißen möchte, sobald man ihrer ansichtig wird. Es gibt kaum einen Tag, geschweige denn eine Nacht, wo sie nüchtern ist. Sie hat keine Freunde, nur „Bekannte“, und ihre immer bedrängendere finanzielle Situation lässt sie ihre Einsamkeit umso stärker empfinden.

Die Versuchung ist groß

Eines Tages stolpert Lee über zwei originale Briefe der Vaudeville-Komödiantin Fanny Brice, über die sie gerade ein Buch schreibt. Die Versuchung, die Briefe zu stehlen und sie zu Geld zu machen, ist groß – und Lee erliegt ihr inmitten der unaufmerksamen Umgebung der Bibliothek, in der sie die Bögen gefunden hat.

Damit ist der erste Schritt zu einer zweiten Karriere getan, der kriminellen Karriere einer Fälscherin. Lee zeigt sich darin begabt. Sie benutzt Federhalter, alte Schreibmaschinen und ihre eigene witzige Fantasie, um angeblich echte Briefe ihrer literarischen Helden zu verfassen und an zunächst ahnungslose Antiquariate zu verkaufen. Sie verfügt über genug Begabung und Humor, um den Stil der imitierten Autoren perfekt nachzuahmen; Lee Israel hat von sich selbst einmal gesagt, dass sie „ein besserer Noël Coward als Coward selbst“ sei.

Einen Komplizen findet Lee in einer Bar in einem homosexuellen Bekannten, der wegen eines Raubüberfalls im Gefängnis saß. Mit ihm zusammen glückt ein Coup nach dem anderen, bis die Vielzahl der von ihr „gefundenen“ Briefe dann doch das Misstrauen der Käufer weckt und schließlich auch das des FBI.

Glänzende Darsteller und eine kluge Regie

Filme dieser Art stehen und fallen nicht nur mit der Sensibilität ihrer Autoren und Regisseure, sondern auch mit dem Können ihrer Darsteller. Die Komödiantin Melissa McCarthy und der weniger bekannte, aber glänzende Richard E. Grant haben sich ihrer deftigen Rollen mit totaler Selbstentäußerung angenommen. Als Zuschauer vergisst man schnell, dass hier Schauspieler am Werk sind. Sie kosten nicht nur die saftige Komik der Geschichte aus, sondern fördern die verborgene Tragik der Charaktere ganz unforciert zu Tage. Gemeinsam mit der Inszenierung von Marielle Heller, die jede Gelegenheit wahrnimmt, hinter das irritierende Äußere ihrer Figuren zu schauen, gelingt es, versteckte Unsicherheiten, soziale Ausgrenzungen und die dadurch ausgelöste Isolation in einer Weise deutlich zu machen, die den Film zu einem der bewegendsten Charakterdramen der jüngsten Zeit werden lässt.

 Eine Kritik von Franz Everschor