Die grüne Lüge

  Freitag, 11. Mai 2018 - 20:30 bis - 22:15

 

Jeder Gast kriegt von uns das Buch
"Alles würde gut – Wie Kinder die Welt verändern können. Eine Streitschrift" von Felix Finkbeiner, dem Initiator der Stiftung Plant-for-the-Planet (Pflanzen für den Planeten), geschenkt.
Ähnlich wie bei der revista ist die Idee, dass es nach dem Lesen nicht im Bücherschrank anstaubt, sondern weiterverschenkt wird.

 

Eintritt: frei

Österreich 2017
Kinostart: 22. März 2018
93 Minuten
FSK: ab 0; f

Regie/Drehbuch: Werner Boote (Plastic Planet (2009), Population Boom (2013), Alles unter Kontrolle (2015))
Vorlage: Das Buch der Journalistin und Greenwashing-Expertin Kathrin Hartmann: Ende der Märchenstunde - Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt
Kamera: Dominik Spritzendorfer & Mario Hötschl
Musik: Marcus Nigsch
Schnitt: Gernot Grassl & Roland Buzzi 

Recherche: Kathrin Hartmann, Daniela Kretschy, Thomas Köttner, Myriam Loukili
mit Kathrin Hartmann, Noam Chomsky, Raj Patel, Sonja Guajajara und vielen anderen.

Die zentrale Figur des Films ist die Journalistin und Buchautorin Kathrin Hartmann:
Kathrin Hartmann, geboren 1972 in Ulm, studierte in Frankfurt am Main Kunstgeschichte, Philosophie und Skandinavistik. Während des Studiums arbeitete sie als freie Autorin für die Frankfurter Rundschau, taz und Titanic. Nach dem Studium war sie Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau im Resort Poiltik.

Kathrin Hartmann: Aus kontrolliertem Raubbau. Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren

Cover
Karl Blessing Verlag, München 2015
ISBN 9783896675323, Broschiert, 448 Seiten, 18.99 EUR
Wirtschaftswachstum und überbordender Konsum, so die frohe Botschaft der sogenannten dritten industriellen Revolution, sind gut für die Welt, solange sie innovativ und intelligent gemacht sind. Die technikbegeisterte Mittelschicht hört das gern. Doch auch der Rohstoffhunger des grünen Kapitalismus ist riesig

Kathrin Hartmann: Wir müssen leider draußen bleiben. Die neue Armut in der Konsumgesellschaft

Cover
Karl Blessing Verlag, München 2012
ISBN 9783896674579, Kartoniert, 416 Seiten, 18.95 EUR
Immer mehr Bürger in Deutschland sind vom wirtschaftlichen Reichtum des Landes ausgeschlossen. Nicht nur Arbeitslose oder Rentner, auch viele Menschen, die sich in einer Endlosspirale von Billigjobs und Zeitarbeit befinden.

Kathrin Hartmann: Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt

Cover
Karl Blessing Verlag, München 2009
ISBN 9783896674135, Kartoniert, 250 Seiten, 16.95 EUR
Früher prägten gesellschaftliche Ereignisse und Revolten eine Generation. Das hat sich spätestens in den Neunzigerjahren verändert: Die Heranwachsenden bezogen ihre Identität nicht mehr aus kollektiven Protesterlebnissen, sondern aus dem Konsum von Marken. Daher zielt die öffentlich wahrnehmbare Sehnsucht heute nicht mehr auf eine bessere Welt, sondern auf bessere Produkte.

 
Filmhomepage, Facebook, EPD-Film 
Webseite von Werner Boote

Interview mit Kathrin Hartmann in der Süddeutschen Zeitung
Interview mit Kathrin Hartmann auf den Nachdenkseiten
Interview mit Kathrin Hartmann auf Telepolis

Interview/Diskussion mit Werner Boote und dem EU-Abgeordneten Thomas Waitz im Wiener Standard


Kurzkritik Filmdienst
Der österreichische Filmemacher Werner Boote setzt seinen Diskurs über den ökologischen Zustand der Erde mit einer Feldforschung zum Thema Nachhaltigkeit fort. Ins Visier geraten dabei insbesondere grüne Gütesiegel und falsche Öko- und Sozialversprechen multinationaler Unternehmen. Der etwas didaktische, aber unterhaltsame und bisweilen auch zornige Film untersucht Beispiele aus der Palmöl-, Erdöl-, Kohle- oder Elektroautoindustrie, befragt Aktivisten und Kapitalismuskritiker und belegt seine These von der Politik als Handlanger der Industrie. Über die Analyse hinaus fordert der Film die Zuschauer auf, den Erkenntnisgewinn zu nutzen, um zur Veränderung der Welt beizutragen.
Ralf Schenk

Trailer (142 Sekunden):

ausführliche Kritik Filmdienst
Werner Boote ist seit Jahren als filmischer Aufklärer in Sachen Umweltbewusstsein und Verteilungsgerechtigkeit unterwegs. In Filmen wie „Plastic Planet“ oder „Population Boom“  verknüpfte er faktische Belege der Zerstörung des Planeten mit einer Suche nach Ursachen, aber auch nach Lösungen. In „Die grüne Lüge“ setzt er diesen Diskurs fort, erneut mit einer größtmöglichen Hinwendung zum Zuschauer: Er bringt seine Feldforschung in eine dramaturgische Form, die Spannung und Unterhaltsamkeit garantiert. Konkret benutzt er das Prinzip eines Frage-Antwort-Spiels, das sich durch den Film zieht und für das er sich selbst, gewissermaßen als Kunstfigur, zur Verfügung stellt. Boote spielt also den etwas naiven, umwelttechnisch durchaus gutwilligen „Normalverbraucher“, der in Sachen grünes Denken alles richtig machen will, aber nicht so recht weiß, wie. Denn seine Grundannahme, durch den Kauf nachhaltiger und fairer Produkte „die Welt retten“ zu können, ist zutiefst erschüttert. Der Nachhaltigkeitsgestus, mit dem die Industrie antritt und ihre „grünen Siegel“ verteilt, erweist sich oft als verlogen; tatsächlich geht es um Gewinnmaximierung und Profit. Um dafür Beispiele zu erkunden, holt sich Boote die „Greenwashing“-Expertin Kathrin Hartmann an die Seite, die seit Jahren über die entsprechenden Machenschaften internationaler Konzerne forscht und zum Thema einige Bücher, etwa „Das Ende der Märchenstunde“ (2009) veröffentlicht hat. Sie darf in gespielten Dialogen seine Vorstellungen von angeblich nachhaltiger „grüner“ Industrieproduktion und Landwirtschaft am konkreten Beispiel über den Haufen schmeißen. Das Ganze entbehrt nicht didaktischer Züge, entwickelt aber dennoch Rasanz und hintergründige Komik, macht nachdenklich und zornig. Etwa wenn es um Palmöl geht, das billigste Fett der Welt, für das Hunderte Hektar Regenwald abgeholzt werden. Was anstelle des tropischen Waldes entsteht, ist eine Monokultur ohne Tiere und andere Pflanzen; ehemalige Kleinbauern, die ihr Land verloren haben, werden zur Billigarbeit gezwungen, eine Form des Neokolonialismus. In Indonesien, wo illegal gelegte Feuersbrünste ganze Landstriche verwüstet haben, treffen Boote und Hartmann einen Aktivisten gegen die Palmölindustrie: einen mutigen jungen Mann, der durchaus um sein Leben fürchten muss. Aber sie lassen auch einen verantwortlichen Minister zu Wort kommen, der in einer Rede auf einer internationalen Konferenz die Entwicklungen gutheißt und mit blanker Demagogie auf kritische Einwände reagiert. So wie in diesem Fall kommen hier immer wieder beide Seiten zu Wort: diejenigen, die sich aktiv für ein Gleichgewicht von Mensch, Umwelt und Wirtschaft einsetzen, aber auch jene, die zwar verbal vorgeben, dasselbe zu tun, tatsächlich aber die Machenschaften der Großindustrie schönreden und damit decken. „Greenwashing“, schreibt Kathrin Hartmann, sei das Bemühen von Unternehmen, „ihr schmutziges Kerngeschäft hinter schönen Öko- und Sozialversprechen zu verstecken“. Etwa wenn Konzerne das Elektroauto als Nonplusultra einer grünen Zukunft verkaufen, ohne nur im Geringsten darauf hinzuweisen, welcher Energieaufwand für die Herstellung aufgewandt werden muss. Was aber kann der Ausweg sein aus dem Dilemma, in dem man mit jedem Einkauf im Supermarkt steckt? Der Berühmteste aller Kapitalismuskritiker, Noam Chomsky, der im Film ebenfalls befragt wird, verlangt die „Machtsysteme unter öffentliche Kontrolle zu stellen“. Konzerne nähmen Funktionen ein, wie sie früher absolutistische Herrscher innehatten. An deren Sturz damals auch niemand geglaubt hätte: „Erfolge passieren nicht von allein.“ Die große Ernüchterung, die Boote und Hartmann mit ihrem Faktencheck auslösen, soll nicht in Lethargie münden, sondern ein Hilfe zur Selbsthilfe sein: „Wir müssen raus aus der Zuckerwatte des Konsens und erkennen, dass das System mörderisch ist.“ Am Ende steht die Begegnung mit Vertretern der indigenen Bevölkerung Brasiliens, die gegen korrupte Politiker um ihren Boden kämpfen, der ihnen genommen wurde. Was ist ihr Ziel? „In Freiheit unser Land zu bewohnen und zu genießen, was die Erde uns bietet.“ Ein Traum? Eine Utopie für alle? Oder doch nur der Wiederschein einer längst verlorenen Vergangenheit?
Ralf Schenk