Seniorenkino: Ewige Jugend

  Dienstag, 04. Dezember 2018 - 15:30 bis Dienstag, 04. Dezember 2018 - 17:35

Ort: Alte Exerzierhalle am Neuen Rathaus
Einlass: ab 14.30 Uhr
Eintritt: 4,00 €
Kaffee und Kuchen für 2,50 €

Italien 2015
Kinostart: 26. November 2015
124 Minuten

FSK: ab 12; f
FBW: Prädikat besonders wertvoll 

Regie & Drehbuch: Paolo Sorrentino (u.a.: La Grande Bellezza – Die große Schönheit - Oscar und Golden Globe 2014)
Kamera: Luca Bigazzi    
Musik: David Lang    
Schnitt: Cristiano Travaglioli    

Darsteller:
Michael Caine (Fred Ballinger), Harvey Keitel (Mick Boyle), Rachel Weisz (Lena Ballinger), Paul Dano (Jimmy Tree), Jane Fonda (Brenda Morel), Mark Kozelek (Mark Kozelek), Robert Seethaler (Luca Moroder), Alex Macqueen (Gesandter der Königin), Luna Zimic Mijovic (Junge Masseuse), Tom Lipinski (Verliebter Drehbuchautor)    


Auszeichnungen:
Paolo Sorrentino, Europäischer Filmpreis 2015: Bester Film und Beste Regie 
Michael Caine, Europäischer Filmpreis 2015: Bester Darsteller 


Kurzkritik Filmdienst
Ein alternder Komponist hat sich mit seiner Tochter und seinem besten Freund in einen Schweizer Wellness-Tempel zurückgezogen. Als er vor der englischen Königin sein berühmtestes Stück dirigieren soll, weigert er sich, auf die Bühne zurückzukehren. In opulenten Bildern fächert der multiperspektivisch erzählte Film die Handlung in erlesenen Schlaglichtern auf das Altern und die Akzeptanz des Vergänglichen auf. In die Schaffens-, Beziehungs- und Lebenskrisen mischen sich irrwitzige (Alb-)Träume und zutiefst menschliche Realitäten, wobei der szenisch mäandernde, barock ausladende Erzählbogen stets souverän die Balance zwischen Genialität, Genie und Kitsch wahrt. - Kathrin Häger ****
Sehenswert ab 16.   

Filmhomepage, Wikipedia, Programmkino.de, epd-Film, Filmgazette  (erstmalig 10 von 10 Sternen in 2015)
Pressespiegel    


3-minütiger Bericht zu dem Film vom Filmmagazin KinoKino von Bayern III:

 

5-minütiger Bericht von ttt (Titel Thesen Temperamente - ARD)


Trailer (129 Sekunden):

 

  

ausführliche Kritik Filmdienst
„I’m falling to pieces“, singt die Sängerin Sia zu den aus dem Fernseher dröhnenden Beats von David Guetta. Dazu tanzt ein vom Bildschirm erleuchtetes und vom Fenster gerahmtes Mädchen eine nur ihm bekannte Choreografie, wobei sie den schmalen Oberkörper so voller Kraft nach links und rechts schmeißt, dass ihr hinter den Segelohren mitwippender Zopf kaum nachkommt. Die Hotelgäste, deren faltige Haut die junge Masseurin tagsüber durchwalkt, sitzen abends lieber um eine erleuchtete Drehbühne herum, auf der eine Band zu Beginn des Films eine treibende Version von „You Got the Love“ performt. In dem an Thomas Manns „Der Zauberberg“-Refugium erinnernden Wellnesshotel inmitten der Schweizer Alpen sind die Gäste nur noch Zuschauer. Ihnen bietet die Musik keinen ekstatischen Moment der Teilhabe mehr – und mit der Jugend scheint ihnen auch die Liebe abhandengekommen zu sein.

Wenn hier noch um etwas gekämpft wird, dann sind das Erinnerungen an das, was einst war und woran man vielleicht wieder anknüpfen könnte. Das trifft ebenso auf den US- Schauspieler Jimmy zu, der in dem Ressort an einer neuen Rolle tüftelt, wie auf den „Frauen“-Regisseur Mick, der am Drehbuch für sein filmisches Vermächtnis feilt. Die Vergangenheit droht aber auch Micks besten Freund, den Komponisten Fred Ballinger, einzuholen. Der will in den Bergen mit seiner Tochter Lena eigentlich eine Art Auszeit vom Ruhezustand nehmen, als ihn ein Attaché von Queen Elizabeth bittet, seine bekannteste Komposition bei der Geburtstagsfeier für Prinz Philip zu dirigieren. Doch Fred weigert sich, die „Simple Songs“ noch einmal aufzuführen, weil seine Frau, für die er die Stücke einst schrieb und die er seit Ewigkeiten nicht mehr besucht hat, sie nicht mehr singen kann. Warum sie das nicht mehr kann, enthüllt Regisseur Paolo Sorrentino erst spät, trifft damit aber ins Mark des Films. Genauso wie die Schönheit der scheinbar einfachen Stücke, die ein Violinanfänger im Hotel einstudiert, auch erst ganz am Ende, wenn die Credits über die Bilder laufen, mitten ins Herz trifft.
Musik ist einfach, sie braucht keine erklärenden Worte, versucht sich Fred einmal hilflos zu rechtfertigen, als ihn Lena wegen seiner permanenten Abwesenheit und der Untreue gegenüber ihrer Mutter anklagt. Dabei wurde Lena gerade selbst von ihrem Mann mit einem Pop-Sternchen betrogen. „Ewige Jugend“ wäre allerdings kein Sorrentino-Film und wie „La Grande Bellezza“  eine Hommage an Federico Fellini, wenn der Meister der skurrilen Untertöne aus den tragischen Niederlagen nicht ganz viel Aberwitziges und zutiefst Menschliches herausholen würde. Sorrentinos kongenialer Kameramann Luca Bigazzi schöpft dabei das Opulenz-Potential der Leinwand in den schwebenden Fahrten durch Liegebecken, Saunen und Alpenhängen einmal mehr vollständig aus. Sie unterfüttern die „Kur“-hafte Verbeugung vor Fellinis „Achteinhalb“, während sich in früheren Sorrentino-Filmen eher schlummernde Irrealität deutlicher Bahn bricht, etwa in Lenas fieberhaftem Traum einer rasanten, clip-artigen Autofahrt ihres Ex-Mannes mit der „I can’t rely on you“ schmetternden Popsängerin, hyperrealistisch, in grelle Farben getunkt, wie eine geronnene Version von Britney Spears’ „Toxic“. Oder in einer Vision von Fred, als ihm auf einem schmalen Steg eines Palazzos Miss Universe entgegenschreitet, während das sie umgebende Wasser immer weiter ansteigt. Noch kann die Jugend verächtlich über das Wasser wandeln, doch entkommen kann sie ihm nicht.
Der Zahn der Zeit knabbert an allen, vor allem aber auch an den Erinnerungen. Dass auch die Ära der ins Alter gekommenen Star-Persona vorbei ist, verdeutlichen die selbstironischen Auftritte von Popstar Paloma Faith oder von Jane Fonda als exzentrischer Diva, die Micks Schaffenskrise vertieft. Die künstlerischen Ambitionen der Figuren gehen mit dem, was das Massenpublikum will, nicht mehr konform, krass konterkariert in dem von Fans umringten Diego-Maradona-Verschnitt, der sich und sein Sauerstoffgerät durch die Hotelanlage schiebt, mit Karl-Marx-Tattoo auf dem Rücken und einer gigantischen Plauze vorne dran. Anders als in „Il Divo“ oder „Cheyenne“ gibt es in „Ewige Jugend“ keine männlichen Einzelgänger mehr, die Sorrentino in ihrer Schrulligkeit ins Zentrum der Geschichte und ihrer stilisierten Bilder stellen könnte.
Dies lässt den Stoff etwas ausfransen, eröffnet ihm aber auch die Chance, den heiligen Gral der Jugend aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dass dabei ausgerechnet die weibliche Hauptrolle im exaltierten Spiel von Rachel Weisz nicht immer ganz lebensecht wirkt, lässt den Film dennoch zu einem im viele Dimensionen aufgefächerten Stethoskop werden. Die Not, den Puls der Zeit noch zu vernehmen und in kreativer Hinsicht nicht abgehängt zu werden, lässt Jimmy und Mick verzweifelt nach Gesten und Worten für die Gefühle ihrer Figuren suchen. Die junge Masseurin aber zieht tänzerisch den Techno der Cover-Version vor und zwischenmenschlich die Berührung den Worten, wie sie Fred einmal gesteht. Manchmal drängt einen die Jugend nicht vom Steg, sondern hilft vielmehr wieder hinauf. Und auch die Schönheit liegt längst nicht mehr nur im Auge des Betrachters, sondern vielmehr im Herzen des Betrachteten – egal, wie oft es schon geschlagen hat.

Kathrin Häger, FILMDIENST 2015/24


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