Genug von sprechenden Fischen, Spielzeugfiguren oder Autos. Im neuen Pixar-Film geht es um die Stimmen im Kopf. Genauer gesagt: im Kopf der elfjährigen Riley. Und dass es in diesem Alter schon drunter und drüber gehen kann, ist ja bekannt. Auch Riley hat sich innerhalb kürzester Zeit von einem Sonnenschein in einen düster dreinblickenden Pre-Teen verwandelt. Nicht ganz ohne Grund, denn ihre Familie ist nach San Francisco gezogen, und das neue Leben ist anders, als ihre Eltern es ihr ausgemalt haben. Mit „Alles steht Kopf“ ist Pixar also im echten Leben angekommen, wenngleich Pete Docter und Ronnie del Carmen einen eigenen Dreh finden, diese Alltagsgeschichte zu erzählen. Denn während sich Riley von außen betrachtet immer mehr in sich selbst verkriecht, spielt sich das eigentliche Drama in ihrem Gehirn, genauer in ihrem Verstand ab – also irgendwo im präfrontalen Cortex. Dort sieht es aus wie in einem kunterbunten Themenpark, dessen Zentrum eine Kommandobrücke wie im „Raumschiff Enterprise“ ist. Die Besatzung besteht aus fünf sehr unterschiedlichen Figuren, die alle mal das Sagen haben wollen, deren gemeinsames Ziel es aber ist, Riley ein glückliches Leben zu bescheren. Es sind Emotionen, die hier jeweils passende Gestalt angenommen haben: Die stets optimistische Anführerin „Freude“ sieht aus wie eine gelb flimmernde Tinkerbell mit blauen Haaren. „Ärger“ ist eine roter Hitzkopf, „Ekel“ eine grüne Zicke, „Angst“ so etwas wie ein lila Fragezeichen und die an sich selbst zweifelnde „Kummer“ ist ein blauer Trauerkloß. Sie weiß nicht, was sie zu Rileys Wohlergehen beitragen kann, denn wann immer sie eingreift, wird Riley traurig. Sind am Ende des Tages viele positive Erinnerungen zusammengekommen, haben die fünf ihre Mission erfüllt. Aber dann werden Freude und Kummer durch ein Missgeschick in die unendlichen Weiten des Bewusstseins katapultiert, zusammen mit prägenden Kernerinnerungen des Mädchens. Während die beiden den Weg zurück zum Headquarter suchen, müssen Ekel, Ärger und Angst dafür sorgen, dass Riley ihr heiteres Selbst wieder findet. Ein denkbar schlechtes Team für diese Aufgabe und folgerichtig – das zeigt die Parallelmontage – versinkt Riley immer mehr in einer Depression. Etwas vergleichbar Originelles hat Pixar lange nicht mehr geliefert. „Alles steht Kopf“ dringt in Sphären vor, die immer noch erforscht werden: Wie funktioniert unser Verstand, Gedächtnis, Bewusstsein? Die Filmemacher haben – stark vereinfacht, aber mit wissenschaftlicher Beratung – eine Welt kreiert, in der entsprechende Prozesse (und ihre Folgen) witzig veranschaulicht werden. So verlaufen sich Freude und Kummer während ihrer Odyssee in den Irrgängen des Langzeitgedächtnisses, treffen einen imaginären Freund aus Rileys Kleinkindertagen, landen in der Traumfabrik, geraten in das gut bewachte Unterbewusstsein, wo Brokkolibäume wachsen und ein grässlicher Clown schlummert, und werden beim Durchqueren der Abteilung für abstraktes Denken zu einfacheren, schließlich nur noch zweidimensionalen geometrischen Formen reduziert. Schließlich landen sie auch noch in der Deponie, wo unnötige Erinnerungen verlöschen – und spätestens an diesem Punkt muss man sich ernsthafte Sorgen um Rileys Psyche machen. Denn was würde passieren, wenn sich dort auch Freude und Kummer in Nichts auflösen würden? Die Irrfahrt nimmt zunehmend mal die Züge eines schlechten Drogentrips, mal die eines Katastrophenfilms an, wobei letztere, wie erfahrene Kinogänger wissen, in der Regel ein gutes Ende mit Familienzusammenführung haben. Sprüht der Film anfangs geradezu vor Ideenreichtum und Humor – ein Streitgespräch am Familientisch, wo wir auch Einblicke in die Kontrollzentren von Rileys Eltern erhalten, ist ein kleines Meisterwerk der Komik –, gerät der Mittelteil mit der ewigen Irrfahrt etwas zur Geduldsprobe. Damit geht auch der Anspruch, Unterhaltung für alle Generationen liefern zu wollen, nicht ganz auf. Die Kleinen dürften von den kognitiven und neuronalen Prozessen, um die es hier geht, nicht den leisesten Schimmer haben – und das geht zu Lasten des Spaßes, zumal es dann doch recht düster und verwirrend wird. Die Großen hätten sicher noch mehr davon, wenn Riley bereits – der Abspann liefert einen Appetizer – mitten in der Pubertät stecken würde. Eine Botschaft hat „Alles steht Kopf“ trotzdem, denn als heimliche Heldin erweist sich schließlich die Emotion „Kummer“. Traurigkeit gehört eben zum Leben dazu, und manchmal hilft dieser Zustand sogar dabei, sein seelisches Gleichgewicht wieder zu erlangen.
Kirsten Taylor