Europa - Ein Kontinent als Beute

Europa - Ein Kontinent als Beute

  Mittwoch, 21. Juni 2017 - 19:30 bis - 21:00

Ort: Kino achteinhalb

http://www.europa-als-beute.de

Kategorien: Eintritt frei, 2017, Kooperation, Dokumentarfilm, deutscher Film, Film, Archiv, Demokratie leben, wehrhafte Demokratie staerken - Ausgrenzung entgegentreten, Celler Buendnis für einen gerechten Welthandel

Treffer: 3364


In Kooperation mit dem "Celler Bündnis für einen gerechten Welthandel

Demonstrationsverbot gegen Celler Bündnis für gerechten Welthandel beim Hamburger G20-Gipfel



Eintritt: frei


Dokumentarfilm Deutschland 2016
Kinostart: 23. Februar 2017
78 Minuten

Produktionsfirma:  Avanti Film
Verleih Kino: Salzgeber - Presseheft
Regie/Drehbuch/Produktion: Christoph Schuch 
Kamera: Rainer Krausz, Christoph Schuch
Musik: Marcel Daemgen, Oliver Augst
Schnitt: Rainer Krausz

 
Filmhomepage, Facebookseite, EPD-FilmProgrammkino.de, alle Daten zum Film auf Filmportal.de
Kritik von Fabio Angelelli in der Konkret
Kritik von Oliver Armknecht auf Filmrezensionen.de
Kritik von Tilman Baumgärtel in der taz
Interview mit Rüdiger Suchsland als Podcast auf WDR
 
Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
Die Legitimitätskrise der Europäischen Union entlarvt die Idee einer prinzipiellen Wertegemeinschaft zunehmend als Illusion, die reale Machtverhältnisse kaschieren soll. Das dokumentarische Essay zeichnet ein beklemmend dichtes Szenario über die fundamentale Krise der Demokratie. Mitunter polemisch und mit einer Tendenz zu anti-amerikanischen Verschwörungstheorien, analysiert der Film die Folgen der Entpolitisierung und Ökonomisierung des öffentlichen Raumes, der Privatisierung und der Instrumentalisierung der Medien sowie die vorauseilende Machterweiterung der Exekutive. Ideen, die mit demokratischen Mitteln aus dieser Krise führen könnten, finden sich nur am Rand.
Ab 16.
Ulrich Kriest, FILMDIENST 2017/5

 

Trailer (153 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst
Stillgelegte Hafenanlagen, funktionslose Autobahnbrücken inmitten der Landschaft, halb fertiggebaute Gebäudekomplexe, Geisterstädte, Industriebrachen, Schnellstraßen, auf denen keine Autos fahren. Dazu Bilder von Volkszorn und Demonstrationen sowie ein bedrückend dissonanter Soundtrack. Was ist los mit Europa? Nach Jahrzehnten eines zuverlässigen Versprechens auf Frieden und Wirtschaftswachstum ächzt die Idee von Europa unter den Zumutungen des Neoliberalismus und gerät in eine schwere Legitimationskrise. An die Stelle der postulierten politischen Einheit im Zeichen einer prinzipiellen Wertegemeinschaft ist ein geopolitischer Konkurrenzraum voller Widersprüche und überwunden geglaubter Nationalismen getreten. Von Solidarität keine Spur, stattdessen setzt man auf Erziehungsdiktatur.

Die Dokumentaristen Christoph Schuch und Rainer Krausz haben sich auf die Suche nach den Gründen für diese Entwicklung begeben. Sie befragen Experten und besuchen Aktivisten. In Valencia steht eine 450 Mio. Euro teure Bauruine auf einem Grundstück, das einst für einen öffentlichen Sportplatz ausgewiesen war; nun soll dort das neue, größere Fußballstadion der Stadt errichtet werden, dessen Fertigstellung aufgrund der Finanzkrise aber vor acht Jahren auf Eis gelegt wurde. Erst kürzlich hat die Stadt Valencia, selbst notorisch pleite, die Bauruine dem privaten Fußballclub geschenkt; das alte Stadion fasste 50.000 Plätze, das neue, komplett von der öffentlichen Hand finanzierte, bietet 55.000 Zuschauern Platz. Die Anekdote steht im Film als Beispiel dafür, wie der öffentliche Raum ohne größeren politischen Widerstand zum Spekulationsobjekt gemacht werden kann. In Valencia hat das Zusammenspiel aus Stadt-Marketing, Größenwahn, Korruption und Immobilien-Spekulation der Stadt ein Schuldenpaket beschert, unter dem noch mehrere Generationen leiden werden.

Analoge Großprojekte in Hamburg, Berlin oder Stuttgart kommen zwangsläufig in den Sinn. Erzählungen über das massive (und massiv dreiste) Auftreten des Lobbyismus beim EU-Parlament in Brüssel ergänzen das Bild. Geht es darum, durch Abbau von Arbeitsrechten und Sozialstandards Europa zu einer billigen Sonderwirtschaftszone für multinational organisierte Konzerne umzubauen? Die Politik der EU produziert in Teilen seiner Mitgliedsstaaten wie Griechenland, Portugal oder Spanien eine „verlorene Generation“ junger Menschen, die, obwohl bestens ausgebildet, keine Jobs in ihrer Heimat finden und ins Ausland abwandern müssen. Was wiederum dazu führt, dass bestehende Bildungschancen in den betroffenen Ländern zurückgenommen und der Bildungssektor privatisiert wird.

Der Film zeichnet ein beklemmend dichtes Szenario, das von den Folgen der Entpolitisierung und Entsolidarisierung der Bevölkerung erzählt, von der Rückkehr des Nationalismus, der Privatisierung und Ökonomisierung des öffentlichen Raums, der Instrumentalisierung der Medien im Sinne multinationaler Konzerne. Zusammengefasst kann man diesen Prozess der Umverteilung des Reichtums von unten nach oben als fundamentale Kriegserklärung an die Demokratie begreifen, wobei die Einschätzung der Politik zwiespältig ist: hier ein überforderter Spielball des Lobbyismus, da korrupt, zynisch und voller Arroganz im Umgang mit der Bevölkerung.

Je länger der Film dauert, desto löchriger und fadenscheiniger wird allerdings seine Argumentation. Für die drei EU-kritischen Experten, auf deren Einschätzungen seine Urteile basieren (ohne dass sie näher vorgestellt würden), scheint alles glasklar auf der Hand zu liegen, wobei das Versagen der EU immer weniger zuschreibbar wird, je mehr sich der Blick verschwörungstheoretisch weitet. Da spielen dann die verschärften, mit dem internationalen Terrorismus begründeten Sicherheitsgesetze und die NSA-Überwachung zusammen, um ein innenpolitisches Klima der Verunsicherung wie in George Orwells Roman „1984“ zu schaffen. Der Hegemon NATO schürt die Kriegsgefahr, um eine eigentlich angezeigte Allianz der EU mit Russland zu hintertreiben.

Dabei hat der Film die aktuelle politische Krisenentwicklung in der EU mit Brexit, wachsendem Populismus, dem Umgang mit flüchtenden Menschen und den Folgen der US-Präsidentschaftswahl noch gar nicht in den Blick genommen. So souverän die Experten auftreten und ihre durchaus populistischen und vereinfachenden Analysen ausbreiten (die dann durch die Stimmen ohnmächtiger Aktivisten aus Spanien und Portugal unterfüttert werden), so schwach und beliebig fallen die Rezepte aus, wie man mit demokratischen Mitteln aus dieser Krise herauskommen könnte.

Ob es angesichts einer aufgerüsteten Exekutive reicht, den öffentlichen Raum gemeinschaftlich zurückzuerobern, indem man anfängt, mutig zu sein, scheint nach „Europa – Ein Kontinent als Beute“ wenig überzeugend.

Ulrich Kriest, FILMDIENST 2017/5