Freitag, 04. Mai 2018 - 20:30 bis - 22:30
Ort: Kino achteinhalb
http://the-florida-project.de
Kategorien: Stefan, 1SE, NY Critics Circle Award, Oscarnominierung, Golden-Globe-Nominierung, US-amerikanischer Film, Tragikomoedie, Film, Archiv, Filmpreis, Spielfilm, LA Critics Association Awards, National Board of Review, Women Film Critics Circle Awards, tmdU, Fox, 2018, Scope, eigener Text
Treffer: 2872
Eigener Text des achteinhalbs nach Sichtung:
Als Walt Disney in den 60er-Jahren seinen Vergnügungspark "Walt Disney World Resort" in Florida plante, hieß sein Prestigeprojekt zuerst „The Florida Project“.
Es sollte ein (überteuertes) Familienparadies aus bunten Farben werden, mit tanzenden Micky Mäusen, strahlenden Kinderaugen und Eiscreme zum Frühstück - das "Mekka" für jede amerikanische Familie. Im Jahr 1971 öffnete "Magic Kingdom" die Türen in einen Tempel der Sorglosigkeit, einer Ikonografie US-amerikanischer Traumwelten. Hierzulande in seiner Funktion vielleicht, wenn überhaupt, am ehesten vergleichbar mit dem KaDeWe, dem Schaufenster des Westens, dem Inbegriff des freien Westens und seinen Werten.
Bakers Film spielt in den heruntergekommenen Motelanlagen im Hinterhof um Disney World Orlando, die gebaut wurden, als der Tourismus noch weiträumig florierte.
Die quietschbunten Betonriegel sind in ihrer Namensgebung "Magic Castle" und "Futureland Inn" dem benachbarten Konsumparadies angepasst, für deren prekären Bewohner (Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, working poor), die nicht mehr die Mittel für eine Wohnungsmiete aufbringen, ist es in Wirklichkeit ein No-Future-Land - die Zwischenstation, der letzte Zufluchtsort, der ihre potenzielle Obdachlosigkeit kaschiert ("hidden homeless"), vor dem unaufhaltsamen Sturz in die Obdachlosigkeit, in der sich ca. 5,5 Millionen Menschen („disconnected people“, ca. 1,7% der Bevölkerung) in den USA befinden - Amerika ausgeträumt.
Regisseuer Sean Baker porträtiert diese Welt aber alles andere als in Form einer Elendsreportage, sondern aus der Perspektive (auch Kameraperspektive) von siebenjährigen Kindern, die mit unbändiger kindlicher Lebensfreude durch die sonnendurchflutete Ikonografie eines vergangenen Amerikas toben und streunen, sich die Welt zu eigen machen und Episoden voll kindlicher Magie und Poesie erleben. Vor allem aber zeigt es die Welt aus dem Blickwinkel des rotzfrechen Balgs Moonee, die vermutlich bereits mit ausgestreckten Stinkefinger zur Welt gekommen ist.
Baker, der im Vorfeld viele Filme mit Kindern studiert hat, verrät im Interview, dass den größten Einfluss auf ihn die Slapstickserie "Die kleinen Strolche", die zur Zeit der Großen Depression spielt, ausgeübt habe.
In der Schlusssequenz des Film wechselt das Aufnahmematerial des Films vom farbintensiven 35mm-Material auf Smartphonekamera und es wird das tatsächliche "Magic Castle" das Cinderella Castle, das Disneys weltbekanntes Logo ziert und in jedem Filmtrailer von Feuerwerk gekrönt wird, gezeigt.
Bisher 63 Filmpreise plus 124 Nominierungen
Eintritt: 5,00 €
Tragikomödie USA 2017
Kinostart: 15. März 2018
111 Minuten
FSK: ab 12; f
In den USA erhielt der Film von der MPAA ein R-Rating, was einer Freigabe ab 17 Jahren entspricht. In Deutschland ist der Film FSK 12. In der Freigabebegründung heißt es: „Der Film stellt Kindheit, Armut und Elternliebe in realistischem, glaubhaftem Setting dar. Die Erzählperspektive changiert zwischen Mutter und Tochter, die wie auch ihr Umfeld trotz aller Not als liebevoll und fürsorglich dargestellt werden. Zwar können einzelne Darstellungen von Konflikten, emotionalen Verletzungen, Drogenkonsum und anderen Delikten Kinder unter 12 Jahren irritieren und überfordern, doch bereits 12-Jährige sind in der Lage, diese Aspekte den Filmfiguren und dem Kontext der Geschichte zuzuordnen und sich emotional zu distanzieren. Für sie stellen die Themen und Bilder des Films zwar eine Herausforderung dar, sie überfordern sie aber nicht.“
Regie/Drehbuch/Produktion/Schnitt: Sean Baker
Kamera: Alexis Zabé
Musik: Lorne Balfe
Darsteller:
Brooklynn Kimberly Prince (Moonee) · Bria Vinaite (Halley) · Willem Dafoe (Bobby Hicks) · Christopher Rivera (Scooty) · Caleb Landry Jones (Jack Hicks) · Mela Murder (Ashley) · Karren Karagulian (Narek) · Valeria Cotto (Jancey) · Macon Blair (John) · Sandy Kane (Gloria)
Filmhomepage, WIKIPEDIA
Kritik von Gaby Sikorski auf Programmkino.de - betörend realistisches Independent-Drama und ein ziemlich raffinierter Kommentar zur Lage der USA
Kritik von Anke Sterneborg im EPD-Filmmagazin (5 von 5 möglichen Sternen) - Im Hinterhof von Disney World
Kritik von Jan Künemund im Spiegel - Ein Zauberreich für die Zurückgelassenen
Kritik von Leonie Bartsch in der Welt - Dieser Film ist einfach verdammt g…! Kein Scheiß!
Kritik von Tobias Kniebe in der Süddeutschen Zeitung - Momente purer kindlicher Magie
Kritik von Andreas Busche im Tagesspiegel: Alles so schön bunt hier
Kritik von Jeni Zylka in der taz: Gickernde Feen und Kobolde
Kritik von Maria Wiesener auf Kino-Zeit.de : Die Kinder am Rande der US-amerikanischen Gesellschaft
Kritik (plus Videokritik) von Bert Rebhandl in der FAZ: Lila Magie gegen Micky Maus
Kritik von Karl Gedlicka iim Wiener Standard - Ein Motel am Rande zum Kinderparadies
Kritik von Lukas Stern in der Neuen Züricher Zeitung - der Albtraum strahlt in Bonbonfarben
Interview mit Regisseur Sean Baker in der Zeit: Billighotels waren in den USA immer der letzte Zufluchtsort
Porträt von Katja Nicodemus in der Zeit über Willem Dafoe: Der sanfte Extremist
Pädagogischer Material:
Bundeszentrale für politische Bildung (bpp): Film des Monats März
Kinofenster.de - Film des Monats
Kurzkritik Filmdienst
In den Motels rund um Disneyworld in Orlando, wo kaum Touristen stranden, sondern mittel- und vaterlose Kleinstfamilien hausen, erlebt ein sechsjähriges Mädchen mit ihren Freunden und ihrer Mutter einen Sommer voller Möglichkeiten und Härten. Im strahlenden Licht von Florida und mit den grellen Bonbonfarben des Vergnügungskomplexes porträtiert der Film eine Scheinwelt, ohne deren Verlockungen zu denunzieren noch deren Verlogenheit zu leugnen.
Tim Slagman
Trailer (139 Sekunden):
Videokritik der FAZ (210 Sekunden):