Call me by your Name – O lieb, so lang du lieben kannst (Unser Film des Monats April)

Call me by your Name – O lieb, so lang du lieben kannst (Unser Film des Monats April)

  Freitag, 20. April 2018 - 20:30 bis - 22:50

Ort: Kino achteinhalb

Kategorien: 1SE, Oscar, Oscarnominierung, Archiv, Spielfilm, europaeischer Film, Liebesfilm, Literaturverfilmung, Golden Globe, Independent Spirit Award, Italien, tmdU, Sony, 2018, Flat, unser Film des Monats, eigener Text

Treffer: 5291


"O lieb, so lang du lieben" kannst ist ein Gedicht von Ferdinand Freiligrath, einem deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts. Freiligrath verfasste das Gedicht als Neunzehnjähriger im Jahre 1829. 1845 vertonte der ungarische Komponist Franz Liszt das Gedicht als Kunstlied für Solo-Gesang und Klavier. Die Melodie des Liedes verwendete Liszt erneut in seinem 1850 veröffentlichten Liebestraum Nr. 3 für Klavier. In dieser Fassung wurde sie zu einer von Liszts berühmtesten Melodien. - Unten auf dieser Webseite die Interpretation von Diana Damrau.

Ich (Stefan Eichardt) möchte auf zwei Aspekte des Films hinweisen:
Einmal dass er, wenn er auch von der Liebe zwischen dem 17-jährigen Schöngeist Elio und dem 24-jährigen US-Sonnyboy Oliver, der für sechs Wochen zu Gast bei Elios Eltern ist, im sommerlichen Bella Italia der frühen 80er Jahre handelt, es kein Queer-Film oder Problemkino ist und es weder um Coming-out noch um gesellschaftliche Widerstände oder innere Konflikte geht, sondern um eine Liebe zwischen zwei Menschen, die auf einer Sinnlichkeit basiert, die wiederum auf der Seelenverwandtschaft zu einem anderen Menschen und der beidseitigen geistigen und körperlichen Anziehungskraft gründet. Und warum der Autor sich beim Schreiben gegen eine heterosexuelle Liebe und für eine homosexuelle Liebe entschieden hat.

Der Grund hierfür ist zugleich der zweite Aspekt, den ich ansprechen möchte. Der Faktor Zeit, der zu Beginn bei der Ankunft Olivers von ihm mit "später/later" und "man sieht sich" ins Spiel gebracht wird, ist eine wichtige Dimension des Films. Während der trägen mediterranen Sommertage scheint die Zeit stillzustehen und die beiden Liebenden gehen zugleich verschwenderisch mit der wenigen Zeit um, die ihnen gemeinsam zur Verfügung steht, bis sie sich endlich aufeinander einlassen. Eine ganze Weile mäandert die Erzählung scheinbar ziellos vor sich hin – Regisseur Guadagnino lässt sich alle Zeit, zunächst die Temperamente der beiden jungen Männer zu ergründen und erwartet diese Geduld auch vom Zuschauer. Auf luftig zerfaserte Weise können die atmosphärischen Bilder so ihren ganz eigenen Sog entfalten.

"Call me by your name" ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans "Ruf (nenn) mich bei deinem Namen" von André Aciman. Die oscarprämierte Drehbuchfassung stammt von James Ivory ("Zimmer mit Aussicht", "Wiedersehen in Howards End", "Was vom Tage übrig blieb"). Aciman äußert sich gegenüber der Neuen Züricher Zeitung wie folgt: "Als ich das Buch innerhalb weniger Wochen zu Papier gebracht hatte, sass ich gerade an einem anderen Roman, in dem eine Frau und ein Mann sich Abend für Abend treffen, es jedoch zwischen ihnen zu keiner körperlichen Begegnung kommt. Das literarische Projekt habe sich schliesslich als unmöglich herausgestellt – zwischen Mann und Frau geschieht das so schnell. Doch wenn man einen unerfahrenen Jungen erfindet, der sich in einen andern Mann verliebt, dann gibt es da all diese Hemmungen und Ängste. Und da wird es für einen Schriftsteller interessant."

85 Auszeichnungen und 206 Nominierungen

Eintritt: 5,00

Ruf (nenn) mich bei deinem Namen
Italien 2017
Kinostart: 1. März 2018
133 Minuten
Produktion:  Peter Spears · Luca Guadagnino  · James Ivory
Regie: Luca Guadagnino  
Buch: James Ivory · Luca Guadagnino · Walter Fasano
Vorlage: Der gleichnamige Roman "Ruf mich bei deinem Namen" von André Aciman
Kamera: Sayombhu Mukdeeprom
Schnitt: Walter Fasano
FSK: ab 12; f

Darsteller:
Armie Hammer (Oliver) · Timothée Chalamet (Elio Perlman) · Michael Stuhlbarg (Mr. Perlman) · Amira Casar (Annella Perlman) · Esther Garrel (Marzia) · Victoire Du Bois (Chiara) · Vanda Capriolo (Mafalda) · Antonio Rimoldi (Anchise) · Elena Bucci (Kunsthistorikerin) · Marco Sgrosso (Kunsthistoriker) · André Aciman (Mounir) · Peter Spears (Isaac)
 

Filmhomepage, WIKIPEDIA

lesenswert:
Kritik von Elmar Krekeler in der Welt
Es ist eine Freundschaft, wie sie – das erzählt Elios Vater (Michael Stuhlbarg) im vielleicht schönsten Monolog, den je ein Vater in einem Film seinem Sohn gehalten hat – wenige finden.
Kritik von Jörg Albrecht auf Deutschlandfunk
Und nicht wenige von uns werden darüber zu dem Urteil gelangen, gerade einen der wohl klügsten, sinnlichsten und wahrhaftigsten Filme über das Leben im Allgemeinen und die Liebe im Besonderen gesehen zu haben, der je gedreht wurde. Dabei sind die zwei vorausgegangenen Stunden ähnlich unspektakulär wie gelungen.

Kritik von Sascha Westphal im Fachmagazin EPD-Film
Aber bei aller Leidenschaft ist diese Versuchung der Entgrenzung doch nur eine weitere Täuschung. Beide bleiben sie selbst und verstehen letztlich nicht, was sie tatsächlich aneinander haben. Das erkennt nur Professor Perlman, der in einem der schönsten Vater-Sohn-Gespräche der Filmgeschichte Elio die Augen über seine Freundschaft mit Oliver öffnet. Sie war etwas Einmaliges, von dem die meisten nur träumen können.
»Später« heißt eben auch, dass der Mensch oft erst wirklich versteht, was er hatte, wenn er es wieder verloren hat. Und so erzählen Guadagnino und seine beiden ungeheuer präsenten Hauptdarsteller nicht nur von einer großen Liebe, sondern auch von ihrer Endlichkeit. Das Wissen, dass es eben kein »Später« gibt, verleiht dem Jetzt einen noch stärkeren Zauber. Eine melancholische Note schwingt also von Anfang an in den traumhaft schönen Sommerbildern mit, aber das wird einem erst im Nachhinein bewusst. Damit geht es dem Zuschauer wie Elio und Oliver. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen magischen Film über einen magischen Sommer.
Kritik von Dieter Oßwald auf Programmkino.de
Oder sehr berührend, als intimes Vater-Sohn-Gespräch über Sex, Liebe und das Leben - wie es großartiger im Kino wohl noch nicht zu sehen war. 
Kritik von Hannah Pilarczyk im Spiegel

"Call Me By Your Name" ist ein neuer Liebesfilmklassiker: Wie sich zwei junge Männer im Sommer 1983 in der Lombardei ineinander verlieben, brennt sich mit einzigartiger Sinnlichkeit ins Gedächtnis ein. Am Ende flüstert Oliver: "Ich erinnere mich an alles."
Es gibt so vieles an "Call Me By Your Name" zu lieben, dass selbst so etwas Besonderes wie die Fähigkeit des Films, das unzuverlässige Zeitgefühl eines Sommers einzufangen, nur eine Qualität von unzähligen ist. Ich weiß nicht, wann mich eine Liebesgeschichte das letzte Mal so mitgerissen hat, vielleicht habe ich so etwas auch noch nie mit einem Film erlebt. In der Ich-Form über "Call Me By Your Name" zu schreiben, erscheint mir jedenfalls zwingend, denn der Film hat sich in seiner Sinnlichkeit so sehr in mein Gedächtnis eingebrannt, dass ich das Gefühl habe, den Sommer von Elio und Oliver selber erlebt zu haben. Auch ich erinnere mich an alles. Was der Film mir geschenkt hat, lässt sich nicht in Preisen ausdrücken. Es ist die Erinnerung an den perfekten Sommer, den ich nie erlebt habe, nun aber doch erlebt habe. Im Kino.
Kritik von Gregor Torinus auf artechock film

Kritik von Dominik Kamalzade im Wiener Standard
Call Me by Your Name changiert zwischen einer körperlichen und einer lyrischen, sanft vergeistigten Realität; und weiß davon zu erzählen, wie nah das Glück eines geteilten Moments schon an der Schwermut liegt. Jeder Sommer vergeht. In einer der schönsten Szenen ist es dann Elios Vater, der die Gefühlswirren seines Sohnes durchschaut und ihm einen Rat auf den Weg gibt: "Töte den Schmerz und die Trauer nicht, sonst bist du mit dreißig emotional bankrott." Ein Satz, der Elio vielleicht im Moment nicht hilft, aber mit ein Grund dafür ist, warum dieser Film lange nachwirkt.


durchweg begeisterte Kritiken, aber mit weniger Esprit:
Kritik von Annett Scheffel in der Süddeutschen Zeitung

Ein Gespräch zwischen Vater und Sohn, das rührendste und aufrichtigste vielleicht, das man in diesem Jahr auf der Kinoleinwand sehen wird. - Das ist das Besondere an diesem Film: Er lässt sich selbst und seinen Zuschauern viel Zeit, öffnet den Raum für alle Zwischentöne.  das "Call Me By Your Name" zu einem Meisterwerk der Feinfühligkeit macht. Sein Blick ist aufrichtig und zugleich aufs Höchste stilisiert.
Kritik von Verena Lueken in der FAZ
Kritik von Marietta Steinhart in der Zeit

Über diesen schwebend-schönen Oscar-Kandidaten kann das Herz nur staunen.
Kritik von Nadine Lange im Tagesspiegel
Kritik von Johannes Bluth in der taz

Dieser Film ist wie eine Zeitmaschine. Er versetzt einen zurück in die eigene Jugend, er lässt einen alles erleben, als sei man 17 Jahre alt und frisch und unsterblich verliebt. Er bringt Gefühle hervor, die man schon vergessen haben könnte, Emotionen, die vielleicht verschüttet gegangen sind. Und sollte man – aus welchem Grund auch immer – keine erste große Liebe gehabt haben; nun weiß man mit Sicherheit, was man verpasst hat. - Das ist eigentlich das Schönste an „Call Me by Your Name“: Man wird förmlich in den Film hineingesogen, tief in den taumelnden Sog des Verliebtseins, in dem es kein Halten und keine Logik mehr gibt. Dabei ist der Film ein stimmiges Ganzes, dessen Teile so kunstvoll harmonieren, dass sie kaum als solche wahrnehmbar sind. - Eric Rohmer. Seine „Erzählungen der vier Jahreszeiten“ und filmischen Sittenbilder, die ­„Contes moraux“, sind am ehesten damit zu vergleichen, was „Call Me by Your Name“ so unbestreitbar anmutig macht wie lange kein Film mehr: das unhintergehbare Gefühl der Liebe.
Kritik von Sonja Hartl auf Kino-Zeit.de
Kritik von Stephanie Grimm in Kunst und Film

Kritik von Andrea Köhler in der Neuen Züricher Zeitung

Schulmaterial: Kinofenster Film des Monats, Filmtipp Vision Kino

Essay über Luca Guadagnino von Maria Wiesner in der FAZ


Kurzkritik Filmdienst
Der 17-jährige Sohn US-amerikanisch-italienischer Akademiker sucht Anschluss an einen ein paar Jahre älteren Doktoranden, der in den Sommerferien in der elterlichen Villa in der Lombardei wohnt. Während der träge dahinziehenden Tage erkennen die beiden, dass sie sich ineinander verliebt haben, und lassen sich auf eine Beziehung ein, wohl wissend, dass sie sich mit dem Ende des Sommers wieder trennen müssen. Entspannt und fast beiläufig inszenierte Romanverfilmung, in der sich das Geschehen und die allmähliche Annäherung der Hauptfiguren mit sensibler Folgerichtigkeit entfalten. Dabei weist der hervorragend interpretierte Film in seiner Einlassung auf Sehnsucht und Vergänglichkeit weit über die Erzählung von erwachender Sexualität und homosexueller Romanze hinaus.
Sehenswert (5 von 5 Sternen - das gibt es zwei- dreimal im Jahr)
Marius Nobach

Trailer (119 Sekunden):



Filmkritik der FAZ von Verena Lueken (198 Sekunden):

Diana Damrau - Franz Liszt - Liebesträum No. 3 "O Lieb, so Lang du Lieben kannst" (5 Minuten):
O lieb, solang du lieben kannst!
O lieb, so lang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst.
Und sorge, daß dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
So lang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt.
Und wer dir seine Brust erschließt,
O tu ihm, was du kannst, zulieb!
Und mach ihm jede Stunde froh,
Und mach ihm keine Stunde trüb.
Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint, -
Der andre aber geht und klagt.

ausführliche Kritik Filmdienst
Der Sommer 1983 ist lang und heiß in der Lombardei. In der jahrhundertealten Villa saugen die Wandteppiche und edlen Möbel die Sonnenstrahlen auf. Das Licht treibt die Bewohner nach draußen. Dort geht jeder seine eigenen Wege, abgesehen von den Mahlzeiten und an gelegentlichen Regentagen. An einem solchen Tag erweist sich der enge Zusammenhalt der Familie Perlman. Auf dem Sofa finden sie sich zum gemeinsamem Zeitvertreib zusammen, der sich aus dem Übersetzerberuf der Mutter ergibt. Man liest einen Ausschnitt aus den Heptameron-Erzählungen von Margarete von Navarra über die unglückliche Liebe eines Ritters, der mit der Frage ringt, was wohl besser ist: zu reden – oder zu sterben, ohne sich offenbart zu haben? Die Wahl der Geschichte aus dem 16. Jahrhundert ist zufällig, doch sie bringt das Dilemma des 17-jährigen Elio auf den Punkt: Sein Sommer wird von ebensolchen Gedanken bestimmt, von unbekannten, auch unbegreiflichen Gefühlen an der Schwelle zum Erwachsenwerden. „Call Me by Your Name“ ist zuallererst ein außergewöhnliches Jugendlichen-Porträt. Elios Figur ist frei von den stereotypen Zuschreibungen, die das US-amerikanische Kino wieder und wieder produziert, weder oberflächliche Sportskanone noch jugendlicher Rebell noch Nerd. Seine Beschäftigungen sind zwar an der kunstsinnigen, kosmopolitischen Lebensart seiner Eltern geschult; er spielt Klavier und Gitarre, transkribiert klassische Musik, interessiert sich für Literatur; doch die Erwachsenen lassen ihm alle Freiheiten, sich auch mit Gleichaltrigen zu vergnügen. Der Sohn eines US-amerikanischen Archäologie-Professors und einer Italo-Französin wechselt mühelos zwischen drei Sprachen und hätte wohl keine Probleme, Anschluss zu finden. Doch man sieht, dass er bewusst Abstand zu Mädchen wahrt. Davor, sich gefühlsmäßig treiben zu lassen, schreckt der nachdenkliche Junge instinktiv zurück, was weniger Worte als das ungemein vielschichtige Mienenspiel des Newcomers Timothée Chalamet verdeutlichen. Als weiteren Unsicherheitsfaktor in Elios Gefühlswelt führt der Film schon zu Beginn den 24-jährigen Doktoranden Oliver ein, belässt dessen Haltung gegenüber Elio aber zunächst in der Schwebe. Oliver ist gebildet und stammt ebenfalls aus einer jüdischen Familie, unterscheidet sich durch eine sportliche Gestalt und sein selbstsicheres Auftreten aber markant von dem noch jugendlich unbeholfenen Elio. Der Sommergast könnte wie ein Kamerad oder großer Bruder für ihn sein, entzieht sich aber zunächst. Gleichwohl kommt es zu ersten gemeinsamen Unternehmungen und einer wachsenden Freundschaft, die Elio schließlich veranlasst, bei einem Fahrradausflug das Gefühl völliger Unerfahrenheit zu gestehen. Auf dem Heimweg führt er Oliver zu seinem geheimen Rückzugsort, noch weit abgeschiedener als die elterliche Villa, wo sich die bis dahin diffusen Schwingungen zwischen ihnen in einem Kuss konkretisieren. Eine Gefühlsäußerung, die zunächst die Distanz der beiden vergrößert, bis Elio es nicht mehr aushält. Eine nächtliche Verabredung mit Oliver lässt ihn begreifen, dass er in ihm die erste Liebe gefunden hat – und dass dieser ihm insgeheim längst signalisiert hat, dass er das gleiche empfindet. So entspannt und fast beiläufig, wie sich die beiden jungen Männer über ihre Gefühle klarwerden, ist auch der Film angelegt. Auf bestechende Weise fließt hier das Beste von zwei unterschiedlichen Regie-Stilen zusammen. Das Drehbuch nach dem 2007 erschienenen Roman von André Aciman schrieb der fast 90-jährige James Ivory, und auch in der Verfilmung macht sich der Einfluss des Altmeisters in etlichen Details bemerkbar. Der tastend-dezente Blick auf das Geschehen erinnert deutlich an Ivorys Adaptionen seiner literarischen Vorbilder E.M. Forster und Henry James, vor allem an „Zimmer mit Aussicht“, „Die Europäer“ und „Maurice“, ebenso wie der sommerliche Hintergrund und das scheue Staunen der amerikanischen Charaktere über die europäische Kulturfülle. Der italienische Regisseur Luca Guadagnino fügt dem eine dynamische Inszenierung der Räume hinzu, in der jede Bewegung der Protagonisten ihrer Charakterisierung dient. Er etabliert ein ähnlich dichtes System der Andeutungen und verhüllten Anziehungskräfte wie in seinen früheren Werken „I Am Love“ und „A Bigger Splash“ . Auf wilde oder rohe Elemente, wie sie bei den Männerkonstellationen in diesen Filmen auch auftraten, verzichtet „Call Me by Your Name“ jedoch. Stattdessen entfaltet sich zwischen Elio und Oliver, ermöglicht durch die sanfte Maskulinität ihrer Darsteller Timothée Chalamet und Armie Hammer, ein von Zärtlichkeit geprägtes Verhältnis, das an die großen Romanzen der Kinogeschichte anschließt. Wie im liebevollen Tausch ihrer Namen, auf das der Filmtitel anspielt, scheinen sie auch auf der Bildebene geradezu zu verschmelzen: ein Körper, ein Herz. Als Geschichte eines Sommers ist dieser Zweisamkeit von Anfang an aber das unausweichliche Ende eingeschrieben. Zunächst ist es die Trägheit der Hitzetage, die den entscheidenden Schritt zur Beziehung hinauszögert. Im zweiten Teil scheint der Film rascher davonzueilen, obwohl sich am Rhythmus nichts ändert. Guadagnino und Ivory sprechen dabei Empfindungen an, die weit über die Erzählung von erwachender Sexualität und einer Liebesgeschichte zwischen Männern innerhalb eines liberal-intellektuellen Milieus hinausreichen. Sie rühren an die Gewissheit, dass Wärme, Genuss und die Freuden des Sommers nur zu bald vorüber sind und zur nicht wiederkehrenden Erfahrung werden. Es ist eine Melancholie, die auch unter der heiteren Oberfläche der Sommerfilme eines Jean Renoir oder Eric Rohmer zu spüren ist. Dieselbe ebenso anrührende wie unwiderstehliche Stimmung prägt auch diesen meisterhaften Film, von dem man keine Minute missen möchte.
Marius Nobach