Anderswo

Anderswo

  Mittwoch, 09. Mai 2018 - 19:00 bis - 20:30

Ort: Kino achteinhalb

http://anderswo-film.com/#home

Kategorien: Stefan, Gesellschaft fuer Christlich-Juedische Zusammenarbeit e.V. Celle, Kooperation, deutscher Film, Film, Archiv, Spielfilm, tmdU, Filmagentin, 2018, Flat, Stadtarchiv Celle, Jüdische Gemeinde Celle

Treffer: 3061


Eintritt: 5 Euro

englischer Titel: ANYWHERE ELSE
Deutschland 2014
Kinostart: 29. Januar 2015
82 Minuten
FSK: ab 0; f
FBW: Prädikat besonders wertvoll

Produktion: Dirk Manthey
Regie: Ester Amrami
Buch: Momme Peters · Ester Amrami
Kamera: Johannes Praus
Schnitt: Osnat Michaeli
Musik: Fabrizio Tentoni

Darsteller:
Neta Riskin (Noa) · Golo Euler (Jörg) · Hana Laslo (Mutter Rachel) · Hana Rieber (Henja) · Dovaleh Reiser (Yossi Guttermann) · Romi Abulafia (Netta Guttermann) · Kosta Kaplen (Dudi Guttermann)
 

Filmhomepage, Wikipedia, EPD-Film, alle Daten zum Film auf Filmportal.de  
Kritik von Heike Hupertz in der FAZ
Kritik von Marie Rövekamp im Tagesspiegel
Kritik von Harald Mühlbeyer auf Kino-Zeit.de
Kritik von Axel Timo Purr auf artechock film
Kritik von Tobias Ebbrecht-Hartmann in der Welt

Interview von Katrin Richter mit Ester Amrami in der Jüdischen Allgemeinen  


Kurzkritik Filmdienst
Eine Frau Mitte 30 (ver-)zweifelt an ihrem Studium sowie am Leben in Berlin. Spontan entschließt sie sich, zu ihrer Familie nach Israel zurückzukehren, verfällt dort aber alsbald in alte Verhaltensmuster und benimmt sich wie ein aufmüpfiger Teenager. Mit leichter Hand rührt der psychologisch differenzierte Debütfilm an verschiedene Schichten und Geschichten, ohne die Erzählung einer verunsicherten Identität aus dem Blick zu verlieren. Der gut gespielte Ensemblefilm handelt von Kommunikation und Sprache, familiären Empfindlichkeiten und der Frage, an wie vielen Orten man zu Hause sein kann, ohne sich darüber selbst zu verlieren.
Julia Teichmann

Trailer (142 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst
Der Kontrast könnte nicht größer sein: Tief hängt der Nebel über dem Berliner S-Bahn-Delta. Im Winter ist hier alles grau. In Israel hingegen scheint die Sonne durch Blätter und Palmwedel; hell gleißt der Asphalt. „Anderswo“ sind beide Orte für Noa. Um diese junge Frau herum erzählt Ester Amrami ihren ersten Spielfilm, der sich fast wie ein verzögertes Coming-of-Age-Szenario anlässt. In Berlin ereignen sich Verzögerungen ziemlich leicht, eingebettet in die „digitale Bohème“, die einfach nicht älter werden will und schon gar nicht erwachsen. Man studiert lange, hangelt sich von Stipendium zu Stipendium, die Mieten sind bezahlbar und mit Nebenjob könnte das ewig so weitergehen. Noa putzt das Treppenhaus in dem Altbau, in dem sie gemeinsam mit ihrem Freund Jörg, einem Musiker, wohnt. Sie nimmt regelmäßig Psychopharmaka. Jörg schlägt vor, sie solle doch endlich ihre Arbeit abschließen, dann müsste sie auch das Zeug nicht mehr schlucken. Noa beschäftigt sich mit einem Wörterbuch für unübersetzbare Wörter und filmt in Berlin lebende Menschen aus aller Welt, die diese Wörter für die Kamera erklären. Die Filme im Film tauchen in „Anderswo“ immer wieder auf, strukturieren den Film und weisen über ihn hinaus. Als ihr das Stipendium mit der Begründung abgelehnt wird, dass es sich da wohl eher um Kunst denn um Wissenschaft handle, und sich ihr Freund Jörg fast gleichzeitig für ein Engagement in Stuttgart bewirbt, fliegt Noa kurzerhand nach Israel zurück. Im Schoß ihrer Familie lassen auf Eis gelegte Konflikte nicht lange auf sich warten, was die hadernde Mittdreißigerin endgültig wieder zum pubertierenden, rebellierenden Kind werden lässt. Berlin ist die Exposition, der Hauptteil des Films spielt in Noas Heimat. Das deutsche Wort „Heimat“ ist auch so ein unübersetzbares Wort, es wird in keinem filmischen Zwischenspiel erklärt – und doch permanent und unausgesprochen verhandelt. Überhaupt rührt die Regisseurin und Autorin mit leichter Hand an viele verschiedene Schichten und Geschichten, ohne dass die Erzählung darüber zerfasern würde. Es geht um Israel und Deutschland: Noas Mutter spricht mit ihrer in Czernowitz geborenen Mutter jiddisch – das versucht sie dann auch mit Jörg, der Noa nachreist. Vor allem anhand Jörgs Person, seiner Arglosigkeit, mit der er Anspielungen und Rituale durchstolpert, zeigt Amrami, wie sich die Spannungen des Holocaust bis in die dritte Generation fortgesetzt haben, mit welchen Fragen ein junger Deutscher in Israel konfrontiert ist. Mal erzählt Noas Bruder, der verzweifelt seinen Militärdienst ableistet, einen Witz, in dem Bastian Schweinsteigers Großvater als KZ-Aufseher auftaucht, mal wird das Feld ohne Worte ausgelotet: Noas Vater führt Jörg durch den Betonbunker, den er im sonnigen Garten in die Erde gegraben hat. Eine ganz ähnliche Geschichte erzählte Julia von Heinz in „Hannas Reise“, nur mit umgekehrten Vorzeichen, aus deutscher Perspektive – Hanna ist bei Amrami gewissermaßen die Nebenfigur Jörg. In „Anderswo“ geht es auch um Sprache, insbesondere in der Beziehung zwischen Noa und Jörg, um Kommunikation, Missverständnisse und Empfindlichkeiten in der Familie. „Anderswo“ ist in dieser Hinsicht ein mit bemerkenswert psychologischem Geschick inszenierter, fast dokumentarisch gespielter Ensemblefilm. Noa ist temperamentvoll, impulsiv und handelt oft unüberlegt, während Jörg ein eher ruhiger, vorausschauender Charakter ist – das Gleiche gilt für Noas Mutter und Vater. Die Probleme mit ihrer Schwester, der Neid und die Wut, werden nur angedeutet, erschließen sich aber trotzdem. Irgendwann bricht es in einem Wutausbruch aus Noa heraus, dass ihre Arbeit absolut sinnlos sei. Nichts lasse sich übersetzen, nicht Bett, nicht Liebe, nicht Stuhl. Anderswo ist überall: Berlin, Israel, Czernowitz. Als sie ihre Großmutter fragt, wie viele Sprachen sie spricht und wo ihre Heimat sei, antwortet diese: „Hauptsache, alle sind gesund.“
Julia Teichmann