National Bird (unser Film des Monats Juli)

  Mittwoch, 12. Juli 2017 - 19:30 bis - 21:15

In Kooperation mit attac Celle und dem Rosa-Luxemburg-Club Celle.
Attac ist Kooperationspartner für Kinofilm "NATIONAL BIRD".

Wir hatten Sonja Kekenbusch nach Celle eingeladen, aber da sie bereits wieder in die USA geflogen ist, klappte das leider nicht.

 

"National Bird" ist ein US-amerikanischer Ausdruck für den Wappenvogel der USA bzw. dem Dienstsiegel der USA.
"Das Große Siegel der Vereinigten Staaten (engl. Great Seal of the United States) ist das offizielle Dienstsiegel und Hoheitszeichen der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Vorderseite des Siegels zeigt den Weißkopfseeadler, während die Rückseite eine Pyramide ohne Spitze zeigt, über der das Auge der Vorsehung schwebt. Das Siegel wurde 1782 eingeführt und wird ähnlich einem Wappen häufig in offiziellen Dokumenten verwendet. Beide Seiten des Siegels sind auch auf der Rückseite der Ein-Dollar-Banknote dargestellt."

Sonja Kennebeck ist mit dem renommierten Ridenhour Prizes ausgezeichnet worden:
"Mit den Ridenhour Prizes werden seit 2004 jährlich in mehreren Kategorien Personen ausgezeichnet, die durch ihre aufklärerische Arbeit dem Gemeinnutzen dienen und sich für größere soziale Gerechtigkeit oder eine gerechtere Gesellschaft einsetzen.[1] Die mit je US-$ 10.000 dotierten Preise wurden gestiftet von der Fertel Foundation (die Fertel Foundation geht auf eine testamentarische Verfügung von Ruth Fertel, Gründerin der Restaurantkette Ruth's Chris Steak House, zurück) und der Non-Profit-Organisation The Nation Institute (steht der linksliberalen Wochenschrift The Nation nahe). Der der Preise erinnert an den US-amerikanischen Vietnamkrieg-Veteran, Whistleblower und Journalisten Ronald Ridenhour (1946–1998), der entscheidend dazu beitrug, dass das während des Vietnamkrieges von US-Truppen verübte Massaker von My Lai bekannt und untersucht wurde. Die Preisgelder werden überwiegend durch Spenden finanziert."
Webseite des Ridenhour Prizes.

 

Eintritt: frei

Dokumentarfilm USA 2016
Kinostart: 18. Mai 2017
Produktionsfirma: Ten Forward Films
92 Minuten
FSK: ab 12; f
FBW: Prädikat besonders wertvoll


Produzentinnen: Sonia Kennebeck und Ines Hofmann Kanna 
Ausführende Produzenten: Wim Wenders und Errol Morris

Regie/Drehbuch: Sonia Kennebeck
Sonia Kennebeck (geboren 1980 in Malaysia, aufgewachsen in Hamburg) ist eine deutsche Dokumentarfilmregisseurin und -produzentin sowie (investigative) Journalistin.
Kamera: Torsten Lapp
Musik: Insa Rudolph
Schnitt: Maxine Goedicke
Filmwelt,  

 
Filmhomepage, Facebookseite, WikipediaEPD-FilmProgrammkino.de, Filmseite der Berlinale, Filmseite des Filmfest Hamburg
alle Daten zum Film auf Filmportal.de

Kritik von Maria Wiesner in der FAZ
Kritik von Silvia Hallensleben im Tagesspiegel
Kritik von Karsten Munt auf Telepolis
Interview mit Sonia Kennebeck in EPD-Film

Mediatheken:
3Sat - Kulturzeit (6 Minuten)
rbb - Radio eins (5 Minuten) - Interview mit Sonia Kennebeck
NDR-Kulturjournal (3 Minuten)
Radio WDR3 Mosaik (10 Minuten) - Interview mit Sonia Kennebeck
Radio SR2 (4 Minuten) - Interview mit Sonia Kennebeck
Deutsche Welle (2 Minuten)

Schulmaterial:
Download auf der Filmwebseite
Vision Kino

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
Engagierter Dokumentarfilm über die Opfer des US-amerikanischen Drohnenkriegs, der den Mythos vom „sauberen“ Krieg als Trugschluss entlarvt. Das Primat der Machbarkeit entzieht sich jedem ethischen Maßstab; überdies führt das Töten mittels Joystick zu enormen psychischen Belastungen der Soldaten. Drei ehemalige US-Militärs sprechen über ihre Erfahrungen und darüber, mit welchen persönlichen Konsequenzen sie rechnen müssen, wenn sie mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit gehen. Eine Reise nach Afghanistan komplettiert das Bild um die Realität physischer Verstümmelungen. Zudem werfen die Gängelungen während der Dreharbeiten sowie die Drohung des Geheimnisverrats ein bedenkliches Licht auf den Zustand der US-amerikanischen Öffentlichkeit.
Sehenswert ab 14.
Ulrich Kriest, FILMDIENST 2017/10

Trailer (101 Sekunden):



Sonia Kennebeck im Interview mit Tilo Jung von "Jung & Naiv":
(57 Minuten):


ausführliche Kritik Filmdienst
Es ist der US-General Stanley McChrystal, zuletzt Kommandant der ISAF in Afghanistan, der bei einem öffentlichen Auftritt die Schattenseiten des technologisch Machbaren anspricht. Technisch sei es kein Problem, von Bagdad aus in Echtzeit via Drohnenkamera den Einsatz einer Kampfeinheit in Afghanistan zu verfolgen. Das sei wie im Live-Fernsehen. Man könne während des Einsatzes sogar mit dem Offizier vor Ort kommunizieren. Allerdings sei das Ganze ebenso „trügerisch“ wie „verführerisch“, weil es aus 10.000 Meter Höhe suggeriere, dass man wisse, was auf der Erde vor sich gehe.

Diese beiden Begriffe bringen die ganze Ambivalenz des Drohnenkrieges auf den Punkt. Verführerisch ist der Drohneneinsatz, weil er erlaubt, Kämpfe ohne Bodentruppen zu führen, zumal man durch das Sammeln und Auswerten von Daten auch potenzielle Gefährder antizipierend ausschalten kann.

Als Präsident Obama auf diese „saubere“ Strategie setzte, sprach er davon, dass durch diese Technologie das Risiko ziviler Kollateralschäden minimiert werde. Die junge Heather kann über soviel Naivität auf Seiten der Politiker nur lachen: Wissen die denn gar nichts über die Kriege, die sie führen?

Dass die Akteure im Drohnenkrieg einer verbindlichen Ethik folgen, ist eine trügerische Annahme. Das macht „National Bird“ eindeutig klar, was den Film von Sonia Kennebeck zu einer aufschlussreichen Ergänzung und materialistischen „Erdung“ des Essayfilms „Krieg & Spiele“ von Karin Jurschik macht. Heather hat als Soldatin der US-Air Force am Drohnenkrieg mitgewirkt, bis sie das, was sie täglich zu sehen bekam und interpretieren musste, erst nachdenklich und dann depressiv werden ließ. Die Frau aus Pennsylvania hatte sich freiwillig zur Armee gemeldet, weil sie die Welt sehen wollte und glaubte, dass die USA für das Gute stehe. Kurz vor Ende ihrer Dienstzeit galt sie als suizidgefährdet; inzwischen kämpft sie um die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung, obwohl ihr Einsatz sie nie aus den USA hinausführte.

Die Filmemacherin hat sich für ihr Filmdebüt aufgemacht, die Opfer des Drohnenkrieges nicht im Nahen oder Mittleren Osten, sondern in den USA selbst zu suchen, was zunächst eine überraschende Perspektive eröffnet, die im Verlauf des Films aber revidiert wird. Mit Wim Wenders und Errol Morris konnte sie zwei prominente Mentoren für ihr gewagtes Projekt gewinnen, das sie schnell in den Grenzbereich von Geheimnis- und Landesverrat führte, in dem die US-Administration höchst empfindlich agiert.

Die drei Protagonisten Heather, Lisa und Daniel müssen ihre Worte mit Bedacht wählen, um nicht unter Whistleblower-Verdacht zu geraten. Während der Dreharbeiten wird das Haus von Daniel, der bei der NSA in Fort Meade beschäftigt war, vom FBI gestürmt und durchsucht. Der Umstand, dass gegen Daniel ein Verfahren wegen Spionage eingeleitet wurde, das ihn unter Umständen für Jahrzehnte ins Gefängnis bringen könnte, ruft die Anwältin Jesselyn Radack auf den Plan, die sich ehrenamtlich für Whistleblower engagiert. Von ihr hört man, dass eine bürgerliche Existenz rasch zerstört sei, wenn man erst einmal ins Visier des FBI oder der Geheimdienste geraten sei.

Auf diese Weise zeichnet Kennebeck ein beklemmendes Bild der US-amerikanischen Wirklichkeit, wo junge Soldaten ohne psychologische Betreuung im Drohnenkrieg eingesetzt werden und jemand wie Lisa nach zwei Dienstjahren dafür ausgezeichnet wird, an 121.000 Identifizierungen von Terrorverdächtigen beteiligt gewesen zu sein. Gleichzeitig aber reagiert das Militär nicht auf psychologische Gutachten und trägt durch die rigiden Geheimhaltungsvorschriften mit dazu bei, dass über die ethischen Probleme des vermeintlich „sauberen“ Tötens aus der Distanz nicht öffentlich diskutiert werden kann.

Den nötigen Perspektivwechsel verdankt der Film dann der Einladung einer Nachbarin Lisas, diese nach Afghanistan zu begleiten. Hier kommt es zur Begegnung mit den anderen Opfern des Drohnenkrieges, dessen Ratio jetzt exemplarisch anhand der ausführlichen Rekonstruktion eines Kriegsverbrechens im Februar 2010 nachgezeichnet wird, bei dem 23 Teilnehmer einer Hochzeitsgesellschaft durch einen Drohnenangriff getötet wurden. Zu den einschlägigen Bildern des Angriffs gesellt sich nicht nur die Tonspur, auf der die Gespräche der Täter zu hören sind, die unwirsch auf Forderungen nach einer differenzierten Einschätzung des Gesehenen reagieren, sondern es kommen auch die Überlebenden mit ihrer Version des Geschehens zu Wort.

Die Afghanen haben im Laufe der Zeit gelernt, sich auf das Gefühl einer permanenten Beobachtung aus der Luft einzustellen. Wird die Bedrohung akut, versuchen sie zu kommunizieren, um die Gefahr abzuwenden, und halten beispielsweise Babys und Kleinkinder deutlich sichtbar gen Himmel. Welche Kosten dieser Lernprozess gefordert hat, zeigt ein Besuch in einem Krankenhaus, das auf die Fertigung von Prothesen spezialisiert ist. Dieser Versuch einer nachträglichen Aufklärung von falschen Attacken ist allerdings die seltene Ausnahme, denn der Drohnenkrieg lebt (auch) davon, dass man zwar sehen kann, wer anschließend die Leichenteile einsammelt, aber niemand vor Ort die potenziellen Ziele zuvor nach Ausweispapieren gefragt hat. Man weiß nicht, wie viele Opfer der Drohnenkrieg bislang gefordert hat, und auch nicht, wie viele unschuldige Zivilisten unter den Opfern waren.

Sehr US-amerikanisch fällt dann der Schluss von „National Bird“ aus: Heathers Trauma-Diagnose wurde schließlich anerkannt; Lisa hält weiterhin durch humanitäres Engagement ihre persönlichen Schuldgefühle in Schach. Nur Daniels aktueller Aufenthaltsort ist derzeit nicht bekannt.

Ulrich Kriest, FILMDIENST 2017/10