Nocturnal Animals

  Freitag, 24. Februar 2017 - 20:30 bis - 22:40

Eintritt: 5,00 €

USA 2016
Kinostart: 22. Dezember 2016
117 Minuten
FSK: ab 16; f
FBW: Prädikat besonders wertvoll

Regie/Drehbuch/Produktion: Tom Ford 
Vorlage: Austin Wright (Roman "Tony and Susan")
Kamera: Seamus McGarvey 
Musik: Abel Korzeniowski 
Schnitt: Joan Sobel

Darsteller:
Amy Adams (Susan Morrow), Jake Gyllenhaal (Tony Hastings / Edward Sheffield), Michael Shannon (Bobby Andes), Aaron Taylor-Johnson (Ray Marcus), Isla Fisher (Laura Hastings), Ellie Bamber (India Hastings), Armie Hammer (Hutton Morrow), Karl Glusman (Lou), Robert Aramayo (Turk), Laura Linney (Anne Sutton), Andrea Riseborough (Alessia), Michael Sheen (Carlos), Jena Malone (Sage Ross)
UPI, Scope 

Auszeichnungen:
Tom Ford, Venedig 2016, Großer Preis der Jury ("Silberner Löwe")
Golden Globe für Aaron Taylor-Johnson als bester Nebendarsteller (insgesamt drei Nominierungen)
Preis der Frankfurter Buchmesse für die beste internationale Literaturverfilmung 2016.

 
Filmhomepage, WikipediaEPD-FilmProgrammkino.de  

Kritik von Christoph Schröder in der Zeit
Kritik von David Steinitz in der Süddeutschen
Kritik von Andreas Kilb in der FAZ
Kritik von Lukas Stern im Spiegel
Kritik von Rüdiger Suchsland auf artechock
Kritik von Christopher Diekhaus auf artechock

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
Eine Galeriebesitzerin, die sich in der aseptischen High Society von Los Angeles etabliert hat, erhält ein Romanmanuskript ihres Ex-Manns, das von einem Menschen erzählt, der in die Fänge eines mörderischen Trios gerät und Frau und Tochter verliert. Die Leserin versteht das Szenario voller Gewalt bald als Rachefantasie, kann sich deren Sog aber dennoch nicht entziehen. Der kunstvoll inszenierte, exzellent gespielte Thriller wechselt zwischen filmischer Wirklichkeit und der Erzählung des Romans und hält durch eingestreute Rückblicke die Interpretation reizvoll in der Schwebe. Eindrücklich warnt der Film dabei vor dem Verlust von Empfindungen.
Sehenswert ab 14.
Marius Nobach, FILMDIENST 2016/26

EPD 11/2016: ★★★★ (4 von 5 Sternen) -  Anke Sterneborg
Der Modemacher Tom Ford verfilmt in seiner nach »A Single Man« mit Spannung erwarteten Regiearbeit einen Roman von Austin Wright, in dem eine Frau das Manuskript ihres ersten Mannes liest, den sie Jahrzehnte zuvor für ein vermeintlich besseres Leben verlassen hatte.

Trailer (133 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst
Susan Morrow scheut das Licht, und nicht erst, seit sie nachts nicht mehr schlafen kann. Ihr erster Ehemann Edward habe sie ein nachtaktives Wesen genannt, erinnert sich Susan einmal, schon viele Jahre, bevor sie sich als erfolgreiche Galeriebesitzerin einem Leben der Abendempfänge, Partys und Vernissagen verschrieb.

Es ist eine Existenz, die der Modeschöpfer Tom Ford in seiner zweiten Regiearbeit „Nocturnal Animals“ mit einem hintersinnig-boshaften Blick zeichnet, wie er aus langjähriger eigener Erfahrung entsteht. In seiner Parade kunstsinniger Reicher aus der High Society von Los Angeles ist Extravaganz Programm, und auch die Protagonistin ist nicht frei davon. Das kupferrote Haar so fallenlassend, dass es ihr halbes Gesicht verdeckt, die Lippen übermäßig geschminkt, die Fingernägel schwarz lackiert, gleitet Susan durch eine Welt des hohlen Scheins, die nur einen Vorzug hat: Es gibt hier keinen Schmerz. Wie alle übrigen Gefühle ist er vollständig aus dieser Sphäre verbannt worden.

In Susans Leben bricht er dafür umso geballter ein, als sie ein Manuskript ihres Exmanns erhält, der sich schon während ihrer Ehe als Möchtegern-Autor abplagte – und den sie auch deswegen verließ. Dieses Buch sei anders als das, was er früher geschrieben habe, lässt Edward wissen und drängt Susan zur Lektüre.

In einer weiteren schlaflosen Stunde schlägt sie daher die Seiten auf und wird mit einer drastischen Geschichte konfrontiert, die Ford als Film-im-Film inszeniert: Einem ehrbaren Familienvater namens Tony Hastings entgleitet während einer nächtlichen Autofahrt im hintersten Texas sein gesichertes Dasein, als er nach einem Überholmanöver von der Straße abgedrängt wird. Seine Versuche der Deeskalation misslingen; die unverhohlene Angst seiner Frau und Tochter vor dem White-Trash-Trio aus dem anderen Auto heizt dessen Wut nur noch weiter an.

Schließlich brausen zwei der Männer mit den Frauen davon, Tony findet sich allein in der Wüste wieder. Als er endlich die Polizei alarmieren kann, bestätigt diese, was sich schon ahnen ließ: Beide Frauen sind vergewaltigt und ermordet worden. Von den Tätern fehlt (vorerst) jede Spur, Tonys Albtraum ist noch nicht vorbei.

Tom Ford unterbricht diese Brave-Bürger-Horrorvision immer wieder, indem er Susans schockierte Reaktion zeigt, die sie aber nicht dauerhaft von der Neugier auf den Fortgang der Geschichte abbringt. Der Regisseur setzt dabei vor allem Schnitt-Techniken ein, um seiner Adaption von Austin Wrights Roman „Tony and Susan“ filmische Eigenständigkeit zu verleihen: Parallelmontagen von Susan und Tony verweisen auf die Identifikation der Leserin mit der Romanfigur, die zunimmt, je weiter die Lektüre voranschreitet.

Nicht nur Susan versteht das Manuskript dabei rasch als Rachefantasie ihres Exmanns: Für den Zuschauer ist ihre Ähnlichkeit mit den beiden rothaarigen weiblichen Opfern unübersehbar, während eine dritte Erzählebene aus Rückblenden enthüllt, dass der unglückselige Tony und Edward – beide gespielt von Jake Gyllenhaal – offenbar Variationen derselben Persönlichkeit sind.

Gerade diese Deutung stellt Ford jedoch im selben Moment wieder in Frage. Gyllenhaal und Amy Adams als Susan ziehen alle Register, um mit vielschichtigem Spiel die Deutung ihrer Figuren zu erschweren. Die Vitalität des Paars am Anfang ihrer Beziehung lässt sich nicht ohne Weiteres mit der Gefühlseingefrorenheit der älteren Susan zusammenbringen, und Edwards negative Gefühle gegenüber seiner Ex-Frau erscheinen auch nicht eins zu eins auf das Roman-Szenario übertragbar.

Ford sät damit bewusst Zweifel an der zuerst eindeutig erscheinenden Bebilderung von Edwards Roman. Wie viel davon auf das tatsächlich Geschriebene und wie viel auf Susans Interpretation zurückgeht, bleibt offen und damit auch die Frage, wie sehr die darin enthaltene moralische Anklage intendiert ist, die Susan auf ihren oberflächlichen Lebensstil bezieht. Den Bildern ist nicht zu trauen, und Ford unterlässt es bewusst, dem durch Voice-Over entgegenzusteuern.

Überhaupt beweist der Regie-Autodidakt wie schon in seinem ersten Film „A Single Man“ ein erstaunliches filmisches Gespür: Dominierten dort Grautöne, unterstützt bei „Nocturnal Animals“ der Kontrast der braunhaltigen Texas-Szenen mit den knalligen Farben aus der Kunstwelt von L.A. trefflich die Stimmung. Die Schauspieler sind bis in die Nebenrollen glänzend, Kameraarbeit und Ausstattung sind exquisit, aber nie selbstzweckhaft, wenn man ihre Doppelcodierung einmal verstanden hat. Fords Film kündet von einem außerordentlichen Vertrauen in die Zuschauer und deren Wunsch, aufmerksam hinzusehen, statt sich Auflösungen vorsetzen zu lassen. Eindeutig ist sein rätselhafter, hypnotischer Thriller dafür in der Anteilnahme für die Figuren: Daran, wie ernst es Ford mit der Warnung vor dem Verlust von Empfindungen ist, kann kein Zweifel bestehen.

Marius Nobach, FILMDIENST 2016/26