Rabbi Wolff

  Mittwoch, 22. Februar 2017 - 19:00 bis - 21:00

Eintritt: frei
Veranstalter/Kooperationspartner:
Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. Celle


Dokumentarfilm Deutschland 2016
Kinostart: 14. April 2016
95 Minuten
 
Produktion/Regie/Drehbuch: Britta Wauer 
Kamera: Kaspar Köpke
Musik: Karim Sebastian Elias 
Schnitt: Berthold Baule

Filmhomepage, WikipediaEPD-Film, alle Daten zum Film auf Filmportal.de  
Die Zeit: Rabbi Wolff, das Wunder aus London

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst
Dokumentarisches Porträt des Rabbiners William Wolff, der seit 2002 die jüdische Kultusgemeinde in Rostock, Schwerin und Wismar mit neuem Leben füllte. Der Film skizziert die erstaunliche Biografie des 1927 in Berlin geborenen Theologen, der 1933 vor den Nazis floh, in London als Parlamentsjournalist reüssierte und sich 52-jährig zum Rabbiner ausbilden ließ. Im Mittelpunkt steht dabei die gewinnend-verschmitzte Persönlichkeit eines außergewöhnlichen Menschen, der zeitlebens Brücken geschlagen und die unterschiedlichsten Welten miteinander in Kontakt gebracht hat.
Sehenswert ab 12.


Trailer (129 Sekunden):

ARD - Titel Thesen Temperamente - ttt (5 Minuten):



ausführliche Kritik Filmdienst
Rabbi Wolff heißt eigentlich Wilhelm oder William Wolff und wurde 1927 in Berlin geboren. Ein kleiner, verschmitzter Mann mit schlohweißem Haar, der Woche für Woche zwischen seiner Wohnung östlich von London und seinem Arbeitsplatz in Schwerin hin und her pendelt. Doch noch ehe man etwas über die blauen Plastiktüten erfährt, die der 88-Jährige auf seinen Flügen mit sich schleppt, oder anderen Geheimnissen seiner wundersamen Biografie auf die Spur kommt, hat man den formvollendeten britischen „Gentleman“ schon ins Herz geschlossen. Dafür braucht das beschwingte Porträt von Britta Wauer nur ein paar stille Momente, denn Wolff ist der Inbegriff eines sympathisch-bescheidenen, aber doch auch distinguierten Mannes, der mit in sich gekehrtem Charme und einer entwaffnenden Freundlichkeit im Nu für sich einnimmt.

Dass der Zentralrat der deutschen Juden im Jahr 2002 ausgerechnet den damals 75-jährigen Engländer berief, um in „McPom“ das jüdische Leben wieder in Schwung zu bringen, verwundert weniger, wenn man Wolff im Umgang mit prominenten und weniger prominenten Zeitgenossen erlebt. Der drahtige Geistliche, den man kaum alt zu nennen wagt, weiß Menschen alle Couleur miteinander zu verbinden. Ob beim Pferderennen in Ascot, beim Gottesdienst in der Synagoge oder auf der politischen Bühne in der Landeshauptstadt Schwerin: stets macht er eine gute Figur und findet die passenden Worte, um seine Zuhörer mit Witz und großer Herzlichkeit in Bewegung zu versetzen.

Es sagt sehr viel über seinen Charakter, dass er in Schwerin unverzüglich eine Lehrerin engagierte, um Russisch zu lernen; denn die meisten der 2000 Gemeindemitglieder in Mecklenburg-Vorpommern stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Sprache, das weiß Wolff aus seinem langen Leben, ist nicht nur ein Mittel der Kommunikation, sondern der Schlüssel zum Denken und Empfinden der Menschen. Das hatte er selbst oft genug am eigenen Leib erfahren. Auf der Flucht vor den Nazis war Wolff 1933 mit seiner Familie zunächst in Amsterdam gestrandet, 1939 dann in London, was neben vielen tragischen Dingen jeweils auch eine neue Sprache mit sich brachte. Darin bewegte er sich bald so souverän, dass es ihn nach dem Studium sogar in den politischen Journalismus verschlug. Seine pointierten Kommentare aus dem britischen Unterhaus machten ihn zu einer auch international gefragten Institution. Doch 1979 hängte er seine Karriere an den Nagel, schrieb sich am Leo-Baeck-College in London ein und ließ sich fünf Jahre lang zum jüdischen Rabbiner ausbilden.

Über die Gründe für diesen ungewöhnlichen Schritt erfährt man nicht viel, nur dass Wolff schon als Kind Journalist oder Rabbiner werden wollte. Obwohl das kurzweilige, über einen Zeitraum von drei Jahren entstandene Porträt eine große Fülle an biografischen Informationen ausbreitet und den unternehmungslustigen Rabbi beim Fasten in der Buchinger-Klinik in Bad Pyrmont, bei Reisen und Besuchen um die halbe Welt und bei vielen, vielen Begegnungen begleitet, wahrt es stets eine respektvolle Distanz. Die psychische, intellektuelle oder auch religiöse Kontur des informationssüchtigen Büchernarren Wolff blitzt deshalb nur in Momenten auf, wenn Wolff beispielsweise sein kinder- und familienloses Dasein mit der engen Mutterbindung in Verbindung bringt oder er durchblicken lässt, dass ihn die Altersarmut zu seinem fortwährenden Berufsleben antreibt. Als er 2014 nicht ganz freiwillig seines Amtes als Landesrabbiner entbunden wird, liegt ein Anflug tragischer Verzweiflung auf seinem Gesicht – bis eine Art Rente ihn von allen finanziellen Sorgen befreit.

Es macht die Größe, aber auch die Grenze dieser liebenswürdigen Annäherung aus, dass sie ihrem Protagonisten auf Augenhöhe begegnet und dafür die passenden filmsprachlichen Mittel einschließlich einer betont fröhlichen Filmmusik findet; für die Katastrophen, Brüche, Narben oder Ambivalenzen im Leben von Rabbi Wolff, aber auch für seine philosophisch-religiöse Signatur bleiben da nur Andeutungen und Spuren.

Josef Lederle, FILMDIENST 2016/9