Der "Brandbrief" an die 1144 Abonnenten unseres Newsletters

  Freitag, 26. August 2016 bis Sonntag, 04. September 2016
Kategorien: 2016, Archiv, Stellungsnahme
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Freitag, 26. August, 14 Uhr 30:
Nachtrag vorweg: Ich hatte gerade ein längeres, sehr angenehmes wie anregendes Telefonat mit Heiko Gevers.
Wir haben alle Missverständnisse - wenn ich das aus meiner Sicht so resümieren darf - einvernehmlich klären können.
Schön, dass so was möglich ist.
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Samstag, 27. August
Den in dem Brief angesprochenen CZ-Leserbrief, der am Samstag in der CZ veröffentlicht worden ist, habe ich in der gekürzten und ungekürzten Fassung ans Ende dieser Seite kopiert.
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Freitag, 26. August, 12 Uhr
 
Liebes Publikum,
gerade musste ich in den Celler Medien, Äußerungen über uns lesen, die ich umgehend richtigstellen möchte. Eine Pressemitteilung wird es unsererseits nicht geben, sondern nur eine Mail an unser Publikum und eine Kopie dieser Mail auf unserer Internetseite.
 

Seitens der Celler CDU oder Teilen der Celler CDU wird folgendes in CZ, Celle Heute und Celler Presse über das Kino achteinhalb verbreitet:
„Es entstehe der Eindruck, dass Mende sich „wegducke“ und andere für ihn agieren lasse: „Jetzt ist es der Personalrat, der aus einem internen Schreiben des Oberbürgermeisters an die Ratshaus-Bediensteten abschreibt. Davor waren es die in seiner Protektion stehenden Herrschaften vom Kino 8½, die unter seinen Augen in der offiziellen Jubiläums-Sitzung der Celler Kulturschaffenden am 10. August Wahlkampf-Material des Magazins Revista gegen den CDU-Kandidaten verteilen durften.


 
Ich bin stinksauer.
Folgendes sozusagen an Eides Statt und frei von der Leber weg – Kultur ist nicht nur das auf der Leinwand, sondern auch zu sagen was ist, was man fühlt und denkt:
 

1) Kein früheres oder aktuelles Mitglied des achteinhalb war jemals Redakteur der revista oder ist Redakteur der revista und niemand von uns hat jemals einen Artikel für die revista geschrieben - das ist verbürgt. Es gab lediglich in der Ausgabe 67 aus November 2013 ein Interview mit mir über die neue Kinotechnik im achteinhalb. Die revista druckt seit Jahren das Programm des Kino achteinhalb ab und wir kriegen daher von jeder Ausgabe 40 Exemplare zum Auslegen und Verteilen. Einen Programmflyer haben wir seit längerem nicht mehr. Ich gebe gerne zu, dass ich persönlich als Stefan Eichardt (nicht als 1. Vorsitzender des achteinhalbs) die revista sehr informativ finde und gerne lese.

2) Wer die revista liest, wird in jeder Ausgabe Kritik an OB Mende finden. Die revista ist alles andere als ein Blatt für Mende oder gar für die Celler SPD. Die revista gibt es übrigens seit 1999. Sie hat m. W. immer kritisch über die herrschende Politik in Celle geschrieben. Wer mehr als eine Ausgabe gelesen hat, wird nicht umhin können, das zu bestätigen. Dass der Artikel über Herrn Nigge bundesweit für Aufsehen gesorgt hat, wird der Celler CDU nicht recht sein, dafür habe ich Verständnis. Ein Artikel, der Kritik über jemanden äußert, ist für mein Verständnis nicht automatisch als Kampfartikel gegen jemanden einzustufen. Diesen Artikel aber als Wahlkampfmaterial im Auftrag von OB Mende zu diskreditieren, nur weil er einem nicht in den Kram passt, wirft in meinen Augen ein bedenkliches Licht auf das dem zugrundeliegende Verständnis von Pressefreiheit. Ich meine das nicht plakativ oder als Affront gegen die Celler CDU, sondern ernsthaft. Presse- und Meinungsfreiheit sind ernsthafte Themen und keine Wahlkampfmunition und sollten nicht aus parteitaktischen Gründen zur Disposition gestellt werden. Damit meine ich übrigens in Celle bei weitem nicht allein die CDU.

3) Herr Mende ist gelegentlich Gast im achteinhalb, vor allem daher kenne ich ihn. Mir selbst ist Herr Mende menschlich sympathisch - was hoffentlich erlaubt ist. Herr Mende weiß aber, dass ich einige seiner politischen Entscheidungen entschieden ablehne. Das habe ich ihm persönlich mitgeteilt und zuletzt in der Exerzierhalle im Anschluss an dem besagten Treffen der Kulturschaffenden in einem Gespräch vernehmlich geäußert, wo ich die geräuschlos über die Bühne gebrachte Ausgliederung der Abwasserwirtschaft und die aus meiner Sicht damit ins Haus stehende Gebührenerhöhung vehement kritisiert habe. Die SPD habe ich in Celle noch nie gewählt, auf Bundesebene habe ich die SPD zuletzt in der Form von Kanzler Schröder gewählt, was ich im Nachhinein als Fehler erachte. Zu Herrn Nigge als Mensch kann ich persönlich nichts sagen, da ich ihn noch nie gesehen habe. Selbstverständlich habe ich persönlich politisch zu einigem eine eigene Meinung, davon ist aber meine ehrenamtliche Arbeit fürs achteinhalb völlig unberührt und selbstverständlich gehen die einzelnen Meinungen im achteinhalb in vielen Fragen auseinander, sind wir doch ein Kulturverein und keine politische Blockpartei. Bei uns gibt es meines Wissens Mitglieder, die CDU, SPD, GRÜNE, LINKSPARTEI oder BSG wählen. Mag sein, dass noch andere Parteien gewählt werden, einen Überblick habe ich da nicht.
Jedenfalls muss es mir erlaubt sein, mich persönlich politisch zu äußern, ohne befürchten zu müssen, damit dem achteinhalb zu schaden.
In dem Sinne habe ich vorgestern abseits der gewohnten Betrachtungsweisen einen Leserbrief an die CZ geschrieben, der wohl Chancen hat, veröffentlich zu werden. Ich beschäftige mich privat gerade intensiv mit der gesellschaftlichen Konstitution des Selbst, was mich zu einem Leserbrief ausgerechnet in der sogenannten "Plagiatsaffäre" und vor allem zu den unterschiedlichen Reaktionen auf diese "inspiriert" hat. Völlig ab von der weltbewegenden Celler OB-Wahl, finde ich, dass dieses bisher so gut wie unbekannte Thema verdient, das über es nachgedacht wird.

4) Das Kino achteinhalb gibt es seit annähernd 22 Jahren. Wir wurden weder von Herrn Biermann noch von Herrn Mende protegiert noch von sonst wem - wäre vielleicht nett gewesen. Vom Steuerzahler hat das Kino achteinhalb in 22 Jahren 1250 Euro (1000 Euro und 500 DM) also ca. 57 Euro jährlich vom Amt für Kunst und Kultur erhalten. Im Gegenzug für unsere Investitionen in den Raum wurde uns 1999 eine jährliche Nebenkostenfreipauschale von 1840 Euro eingeräumt, die wir 2015 erstmals ausgeschöpft haben. 2001 hat die Stadt Celle 44.000 DM für den Brandschutz des achteinhalbs und der anliegenden nicht zum achteinhalb gehörenden Räume ausgegeben. (Im Gegenzug für diese kommunale Investition hatte das Land NDS zuvor über 100.000 DM in das Gebäude investiert.) Wir rechnen damit, dass Herr Mende oder Herr Nigge, wer immer auch die Wahl gewinnt, uns 2017 diese Energiekostenfreipauschale wird kürzen wollen, weil unseren gewählten Vertretern heutzutage im Regelfall nichts Besseres einfällt, als solch eine Symbolpolitik im Rahmen von Haushaltskonsolidierung zu befördern. Im Finanzausschuss ist das jedenfalls schon „angeregt“ worden.
Für unseren 90 qm großen Raum zahlen wir keine Miete, alle weiteren Arbeiten vom Einbau der Heizkörper, Verlegung des Fußbodens, Renovierungen, Einrichtung, Kinotechnik haben dem Steuerzahler keinen Cent gekostet. Das achteinhalb wird ehrenamtlich von 13 Mitgliedern geführt. Wir finanzieren unseren Betrieb über Mitgliedsbeiträge, Spenden und über Eintritt – also über Sie, unser Publikum. Genaugenommen sind wir ein Geschenk an die Stadt Celle.

5) Bei dem besagten Treffen am Mittwoch, den 10. August, handelte es sich nicht wie angegeben um die „offizielle Jubiläums-Sitzung der Celler Kulturschaffenden“. Ich erhielt eine Einladung zum „Treffen aller Kulturschaffenden“. Das Thema lautete „Information über die Planungen zum 725. Stadtjubiläum im Jahr 2017“. Es ging also um dieses krumme, etwas gekünstelte Jubiläum. Da am Vorabend die revista Nr. 81 erschien und im Kino achteinhalb zu Filmbeginn 40 Exemplare angeliefert worden waren und ich mir dachte, dass sicherlich einige gerade auf diese Ausgabe neugierig sind, habe ich 15 Exemplare mitgenommen und dort in der Pause verteilt, überwiegend an mir bekannte Menschen, die auch sonst die revista lesen. Ich war, das gebe ich zu, leider nicht ganz frei von Sensationslust, da mir die Brisanz der Ausgabe natürlich nicht verborgen geblieben war. Der Inhalt des Heftes war mir aber vor Dienstagabend vollkommen unbekannt. Wäre das Treffen eine Woche später gewesen, hätte ich keine revista mitgebracht. Aber auf die Idee mir eine Erlaubnis vom OB einzuholen, ob ich die revista verteilen darf, würde ich im Leben nicht kommen. Mag sein, dass eine Art Hausrecht das hergäbe, fände ich aber vollkommen abstrus. - Immerhin konnten wir uns an dem Abend für Open-Air-Kino auf dem Gelände der CD-Kaserne für den Juli 2017 in Kooperation zwischen dem Kino achteinhalb, der CD-Kaserne und der CRI vereinbaren!
 


Einer der Redakteure der revista gehört zum Kinopublikum und daher weiß ich, dass Herr Gevers zu den Celler Politikern gehört, der als Persönlichkeit seitens der revista mit die meiste Wertschätzung genießt - persönliche Wertschätzung sollte es ja vermögen, sich über Parteigrenzen hinwegzusetzen. In der CZ entsteht der Eindruck, dass dies von Herrn Gevers in die Welt gesetzt worden ist. Ich kenne Herrn Gevers nicht persönlich und hege auch keinerlei Ambitionen, mich mit Herrn Gevers in irgendeiner Form "anzulegen". Auch liegt es mir prinzipiell fern, andere, ob Person oder Partei, belehren zu wollen. Es ist mir unangenehm, wenn ich das, wie z. B. in diesem Schreiben beim Thema Pressefreiheit, meine, nicht vermeiden zu können. Ich rege lieber zum Nachdenken an, als anderen die Welt zu erklären. Doch unwidersprochen konnte ich das, was über das achteinhalb geschrieben worden ist, nicht stehen lassen. Und auf jeden Fall sollte man bitte seitens Politik und Presse zukünftig davon absehen, das achteinhalb weiterhin in den Wahlkampf mit hineinzuziehen.


Kommentare und Stellungsnahmen von anderen Parteien in dieser Sache sind unsererseits grundsätzlich unerwünscht, da unerwünscht, sich auf Kosten des achteinhalbs zu profilieren.
Das achteinhalb lässt sich nach wie vor parteipolitisch nicht vereinnahmen oder gar im Wahlkampf instrumentalisieren.
Aufgrund der gebotenen Eile war es mir leider nicht möglich, diesen brandbriefartigen Text mit anderen abzustimmen.
 
 
Beste Grüße
Stefan Eichardt
Erster Vorsitzender - achteinhalb – Kino & Kultur e.V.
 
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Hier der besagte Leserbrief, der am Samstag in der CZ veröffentlicht worden ist.
Die CZ hat die Überschrift "Gedanken zum OB-Wahlkampf"gewählt.
Etwas treffender fände ich "Gedanken anhand des OB-Wahlkampfs".
 
 
Für jüngere Menschen ist die Vereinnahmung ergoogelter Inhalte nichts Anstößiges, was bei der Generation 50plus auf Unverständnis stößt. Zugrunde liegen dem zwei gänzlich verschiedene Konzeptionen des Selbst und des Wissensbegriffs.

Die beginnend mit den 90er-Jahren durchökonomisierte Welt hat das Selbst weitestgehend aus seinen sozialen und historischen Bezügen herausgelöst und neu konstituiert als Problemlöser und unternehmerisches S
elbst, das Aufgaben mittels eines Bündels erworbener Kompetenzen (u. a. Recherchekompetenz) löst. Inhalte sind in dem Kontext nachrangig - vorrangig sind Methoden.

Der Humanismus sieht das Selbst eingewoben in seinem sozialen und historischen Kontext. Der Wissenserwerb ist inhaltlich, die angeeigneten Inhalte werden eingefärbt durch die Biografie und den sozialen und historischen Hintergrund des Einzelnen und werden so Teil seiner Persönlichkeit. Jemand, der so sozialisiert worden ist, kann einen funktionalen Umgang mit Inhalten anderer nicht gutheißen.
 
Ich sehe die Herren Nigge und Mende daher weniger als Kandidaten zweier Parteien, sondern vor allem als Kandidaten, die diese zwei verschiedenen Welten und deren Werte repräsentieren, die aber beide in unserer Gesellschaft ihren Platz und ihre Schnittmengen haben.
Stefan Eichardt, Celle
 
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Hier mein ungekürzer Leserbrief, der als Leserbrief natürlich zu lang ist und den ich daher kürzen musste.
Die eigentliche Thematik der gesellschaftlichen Konstitution des Selbst ist natürlich derart komplex, dass sie eigentlich für Leserbriefe ungeeignet ist. Die Konstitution des Selbst verläuft in den Kulturen unterschiedlich und unterliegt innerhalb dieser Umbrüchen. Das Selbst hat sich im z. B. 17. Jahrhundert anders konstituiert als im 21. Jahrhundert. Diese Umbrüche vollziehen sich nicht abrupt, sondern über einen langen Zeitraum. Ich denke, dass die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine erneute Umbruchzone markieren. Forschungen diesbezüglich gibt es bisher leider kaum, so dass ich da auch meinen eigenen Beobachtungen und Theorien nachhänge.
Ich hege zur Zeit einen gewissen Faible für diese Sichtweise, es kann aber sein, dass am Ende dabei rauskommt, dass sich meine Gedanken dazu als haltlos erweisen.
 
 
Bei all den verbliebenen Unstimmigkeiten innerhalb der veröffentlichten Äußerungen und den Vorhaltungen in Form von Plagiat und Diffamierung - die kulturelle Trennlinie zwischen all der Empörung verläuft im Wesentlichen nicht zwischen CDU und SPD, sondern eher zwischen Jung und Alt, zwischen der beginnend mit den neunziger Jahren durchökonomisierten Welt und der am Humanismus ausgerichteten Welt.
Für junge Menschen ist die Vereinnahmung ergoogelter Inhalte als Eigenes im typischen Fall etwas Selbstverständliches, etwas, das wiederum bei den Vertretern der Generation 50plus im Regelfall auf Ablehnung stößt. Zugrunde liegen dem zwei gänzlich verschiedene Konzeptionen des Selbst und des Wissensbegriffs. Die neue Zeit hat das Selbst weitestgehend aus seinen sozialen und historischen Bezügen herausgelöst und neu konstituiert als Problemlöser und unternehmerisches Selbst, das befähigt wird, möglichst jegliches Problem in unterschiedlichsten Sachthemen mittels eines Bündels erworbener Kompetenzen (u.a. Recherchekompetenz) zu lösen. Inhalte sind in dem Kontext nachrangig, da beliebig bzw. exemplarisch - vorrangig sind Methoden.
 
Der Humanismus sieht das Selbst eingewoben in seinem sozialen und historischen Kontext. Der Wissenserwerb ist inhaltlich, die angeeigneten Inhalte werden eingefärbt durch die individuelle Biografie und durch den sozialen und historischen Hintergrund des Einzelnen und werden so wiederum Teil seiner Persönlichkeit. Jemand, der so sozialisiert worden ist, kann einen funktionalen Umgang mit Ideen, Formulierungen und Inhalten anderer nicht gutheißen. Da diese Trennlinien aber grobe sind, beide Welten nicht homogen sind und jeweils Anteile der anderen kultiviert haben, kommt es zu einem gewissen Kuddelmuddel und den eingangs angesprochenen Unstimmigkeiten.
 
Ich sehe Herrn Dr. Nigge und Herrn Mende daher weniger als Kandidaten zweier Parteien, sondern vor allem als Kandidaten, die diese zwei verschiedenen Welten und deren Werte repräsentieren, die nunmal beide in unserer Gesellschaft ihren Platz und ihre Schnittmengen haben.
Stefan Eichardt, Celle