Wiener Dog

  Freitag, 09. September 2016 - 20:30 bis Freitag, 09. September 2016 - 22:10

Eintritt: 5,00 €

Komödie USA 2016
Kinostart: 28. Juli 2016
88 Minuten
FSK: ab 12; f
   
Regie/Drehbuch: Todd Solondz    
Kamera: Ed Lachman    
Musik: James Lavino    
Schnitt: Kevin Messman  
 
Darsteller:
Keaton Nigel Cooke (Remi), Tracy Letts (Danny), Julie Delpy (Dina), Greta Gerwig (Dawn Wiener), Kieran Culkin (Brandon), Danny DeVito (Dave Schmerz), Ellen Burstyn (Nana), Zosia Mamet (Zoe), Michael James Shaw (Fantasy), Devin Druid (Dwight)

 
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Kurzkritik Filmdienst
Vier Episoden über die Conditio humana, die mit sardonischem Witz von Entfremdung, Kommunikationsunfähigkeit, Ressentiments, Krankheit, Lebenslügen, Gier und Versagensangst in den USA erzählen. Dabei ist jede Episode einer bestimmten Lebensphase zugeordnet: Kindheit, junges Erwachsensein, späte Berufstätigkeit, Rentenalter. Die mit abgründigem Humor und scheinbarer ideologischer Indifferenz inszenierten „Erzählungen“ beziehen sich ausdrücklich auf Robert Bressons Klassiker „Zum Beispiel Balthasar“ (1965), überbieten aber dessen desillusionierten Blick auf den Menschen, indem der die Episoden verbindende Hund posthum Teil einer albernen Kunst-Installation wird.
Sehenswert ab 14.


Trailer (101 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst

Todd Solondz, der boshafte Psychopathologe des US-amerikanischen Suburbia-Kinos, ist buchstäblich auf den Hund gekommen. Immerhin schafft es mit „Wiener Dog“ erstmals seit „Palindrome“ wieder ein Film des Indie-Filmemachers in die deutschen Kinos. Formal bleibt sich Solondz, der Meister der filmischen Zuspitzung, in jeder Hinsicht treu. Der titelgebende Dachshund dient dabei als dramaturgische Klammer für vier autonome Episoden über die „conditio humana“, die mit sardonischem Witz von Dummheit, Borniertheit, Ressentiments, Krankheit, Behinderung, Einsamkeit, Lebenslügen und Angst im gegenwärtigen Amerika erzählen, andererseits aber auch Spuren ins Gesamtwerk von Solondz legen.

So begegnen man überraschenderweise Dawn Wiener, der Protagonistin aus „Willkommen im Tollhaus“, die sich zu Beginn von „Palindrome“ doch umgebracht haben soll. Sie wiederum begegnet ihrem ehemaligen Klassenkameraden Brandon McCarthy, der es mittlerweile zum wortkargen Crystal-Meth-Junkie gebracht hat. Doch zunächst einmal wird der Hund dem neunjährigen Remi zum Geschenk gemacht, der gerade eine Krebserkrankung überstanden hat und einen Spielkameraden gut gebrauchen kann. Die beiden haben viel Spaß miteinander, doch Remis Eltern haben Tiere lieber stubenrein und sterilisiert. Auf Nachfrage lernt Remi von seiner Mutter, dass auch im Tierreich alle nichtsnutzigen Vergewaltiger den Namen „Muhammad“ tragen. Als Remi einmal besonders nett zu seinem neuen Freund sein will, füttert er ihn mit Müsli-Riegeln. Was er besser gelassen hätte.

Kurz darauf bewahrt Dawn Wiener den Hund davor, eingeschläfert zu werden, überlässt ihn ihrerseits aber Brandons Bruder und dessen Frau, die beide an Trisomie 21 leiden und ihrerseits auch sterilisiert wurden. Diese und zwei weitere Episoden werden mit erstaunlicher Starbesetzung und dem Solondz eigenen abgründigen Humor und scheinbarer ideologischer Indifferenz erzählt. Der Film bringt Robert Bressons „Zum Beispiel Balthasar“ selbst ins Spiel: Das Elend der Menschen in allen Lebensphasen spiegelt sich im Auge der arglosen Kreatur, die die USA durchquert, um den gemarterten Seelen Trost zu spenden. Was dem Esel Balthasar am Ende die Schafherde ist, ist Wiener-Dog der Asphalt der neu gebauten Umgehungsstraße, direkt neben dem Altersheim, in dem die alte Dame lebt, die von ihrer Enkelin um ihr Erspartes gebracht wird und sich in Tagträume flüchtet, wie schön das Leben hätte sein können, wenn sie nicht immer falsche Entscheidungen getroffen hätte.

Zwar trägt der ausgebrannt-frustrierte und vielleicht sogar komplett talentlose Filmhochschuldozent, der in der dritten Episode den Hund in ein Instrument der Rache verwandelt, den sprechenden Namen Dave Schmerz, doch die Haltung des Films und seines Regisseurs zum Gezeigten bringt eher ein mexikanisches Mariachi-Trio auf den Punkt: „Amerika ist ein trauriger Elefant, der in einem See aus Verzweiflung langsam ertrinkt.“

Die Schönheit in diesem Elend aus Missgunst, mangelnder Empathie und Aggression ist von so ausgesuchter Hässlichkeit, dass Solondz den Blick nicht abwenden mag: Ein exquisites Travelling folgt geduldig den Resultaten gut gemeinter, aber grundfalscher Hunde-Fütterung von Durchfall-Pfütze zu Durchfall-Pfütze. Fasziniert und faszinierend. Aber selbst den desillusionierten Blick Bressons auf den Menschen überbietet Solondz in einer Schlusspointe, die zeigt, dass nicht einmal der Tod die Kreatur von ihrem Leiden erlöst, weil die Kulturindustrie in Gestalt eines neckischen Damien Hirst-Epigonen sich daran ergötzt, Tierkadaver zu präparieren und anschließend zu robotisieren. So landet Wiener-Dog am Ende in einer Galerie, wo sich die Besucher an dem – jetzt künstlich erzeugten – Gebell erfreuen, das Remis entnervte Eltern zu Beginn des Films in Rage gebracht hatte.

Ulrich Kriest, FILMDIENST 2016/15