Spotlight

Freitag, 06. Mai 2016 - 20:30

Eintritt: 5,00 €

USA 2015
Kinostart: 25. Februar 2016
129 Minuten
FSK: ab 0; f

Produktion: Michael Sugar, Steve Golin, Blye Pagon Faust, Nicole Rocklin, Kate Churchill, Youtchi von Lintel   
Regie: Tom McCarthy    
Drehbuch: Tom McCarthy, Josh Singer    
Kamera: Masanobu Takayanagi    
Musik: Howard Shore    
Schnitt: Tom McArdle    

Darsteller: Mark Ruffalo (Mike Rezendes), Michael Keaton (Walter "Robby" Robinson), Rachel McAdams (Sacha Pfeiffer), Liev Schreiber (Marty Baron), John Slattery (Ben Bradlee Jr.), Brian d'Arcy James (Matt Carroll), Stanley Tucci (Mitchell Garabedian), Jamey Sheridan (Jim Sullivan), Billy Crudup (Eric MacLeish), Len Cariou (Kardinal Law)  
Paramount, Flat

Auszeichnungen
unter anderem: Oscar 2016: Bester Film und Bestes Originaldrehbuch 

Filmhomepage, Wikipedia, EPD-Film, Programmkino.de  

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.

Kurzkritik Filmdienst

  Ein Reporter-Team der US-amerikanischen Tageszeitung „The Boston Globe“ wird von seinem neuen Chefredakteur auf Missbrauchsfälle durch katholische Priester in der Erzdiözese Boston gestoßen und deckt deren jahrzehntelange Vertuschung durch den verantwortlichen Kardinal auf. Der an tatsächlichen Vorgängen orientierte, brillant gespielte Film arbeitet detailliert den Skandal auf, wobei er inszenatorisch sensibel die Nähe zu Dokumentarfilmen sucht, ohne dadurch an Spannung und Anteilnahme zu verlieren. Vor allem ist er auch ein leidenschaftliches Plädoyer für den investigativen Printjournalismus.
Sehenswert ab 16


Trailer (153 Sekunden):



ausführliche Kritik Filmdienst

 Kein Genre ist bei Kinogängern derzeit so beliebt wie Filme, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Die Spanne reicht dabei von streng an der Realität orientierten Dokumentationen bis zu Dramatisierungen hochaktueller Ereignisse. Die Beschäftigung mit den Missbrauchsfällen katholischer Priester und deren weitreichende Publizität bot sich unter solchen Voraussetzungen geradezu an. Regisseur Tom McCarthy widmet sich dem „heißen Thema“ aber nicht zur Ausbeutung seines Sensationscharakters, sondern wie ein Forscher, der sich mit den allgemein zugänglichen Ermittlungen nicht zufriedengibt, weil er sich von den Vorgängen so aufgewühlt fühlt, dass er das ganze Ausmaß und die ganze Wahrheit offenlegen will.
„Spotlight“ erinnert an eines der großen Vorbilder in der Filmgeschichte, Alan J. Pakulas „Die Unbestechlichen“ aus dem Jahr 1976, der Aufdeckung des Watergate-Skandals durch zwei Journalisten der „Washington Post“. Auch McCarthys Film ist Zeitungsdrama, journalistische Recherche und Detektivgeschichte in einem. Was „Spotlight“ nicht sein will, ist ein emotional aufputschendes Pamphlet, das – wenn auch nur von fern – mit der Behandlung des Themas in Boulevardblättern und Fernsehshows in Berührung gebracht werden könnte. „Spotlight“ ist wie einst „Die Unbestechlichen“ ein seriöser Film, dem man allenfalls den Vorwurf machen könnte, dass er das tiefe und fortdauernde Leid der Opfer zu sehr am Rande behandelt.
Ein Großteil der Handlung spielt in den Redaktionsräumen des „Boston Globe“ und kreist um die investigative Arbeit eines Teams der Zeitung, das für seine Berichte später mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Dabei wird nicht unter den Tisch gekehrt, dass auch die Reporter des „Boston Globe“ viele Jahre zuvor schon um die Vorgänge gewusst haben. Nicht nur katholische Priester waren an der Vertuschung der Missbrauchsfälle schuld, sondern auch höchste Würdenträger der Erzdiözese Boston einschließlich deren Kardinals Bernard F. Law trugen daran eine Mitverantwortung.
Hier und da waren Einzelheiten in die Öffentlichkeit durchgesickert, aber alle, die Kenntnis davon hatten, praktizierten eine Kultur des Wegsehens und des Schweigens um des größeren Ganzen willen. Auch in den Etagen des „Boston Globe“ bedurfte es erst eines aus Miami importierten neuen Redaktionsleiters, der das alle Institutionen der Stadt durchdringende katholische Establishment mit nüchterner, zu publizistischer Aktivität mahnender Skepsis betrachtete. Auf diese Weise konnte ein kleines Journalistenteam mit der Sisyphusarbeit der Exhumierung unter Verschluss gehaltener Akten und lange vernachlässigten Beweismaterials beginnen.
Der Film tut sich am meisten in jenen Passagen hervor, die die Komplizenschaft von Kirchenmännern, Anwälten und Zeitungsleuten aufdecken, denen das verhängnisvolle Schweigen der vorausgegangenen Jahre zu verdanken war. Auch die Reporter selbst stammen aus dem Umfeld der katholischsten Millionenstadt der USA. Auch sie sind nicht frei von Skrupeln, aber sie sind überzeugt davon, dass sie eine Aufklärungsarbeit zu leisten haben, die wichtiger ist als Rücksicht auf ihre Erziehung und Herkunft.
McCarthy erzählt die Geschichte der mühsamen, schrittweisen Entwirrung eines Geflechts aus Abwiegelung und Vertuschung in überwiegend ruhigen, sachlichen, für einen im Zeitungsmilieu angesiedelten Film betont unspektakulären Szenen. Er tut das mit derselben Sensibilität, die schon seinen Film „Ein Sommer in New York – The Visitor“ auszeichnete. Seine Darsteller hält er zu zurückhaltenden Gesten an. Den „rasenden Reporter“, der nach immer neuen Sensationen Ausschau hält, sucht man hier vergeblich. Das macht „Spotlight“ glaubwürdig und rückt die detaillierte Rekonstruktion der immer noch hochsensiblen Vorgänge in die Nähe eines Dokumentarfilms.
McCarthy scheut aber nicht davor zurück, die ans Licht gekommenen Fakten zu benennen, dass es zum Beispiel bei den beschuldigten Priestern nicht bloß um ein paar „faule Äpfel“ geht, sondern um eine lange Liste von Namen, die schließlich ja auch den Kardinal zum Rücktritt veranlassten.
Das letzte Wort über den Bostoner Kirchenskandal“ ist ein Film wie „Spotlight“ allerdings nicht. Zu einseitig stehen in ihm die Reporter und der investigative Journalismus im Mittelpunkt und nicht die Missbrauchsopfer, die mehr als Randfiguren fungieren. Sie haben einen eigenen Film verdient.

Franz Everschor, FILMDIENST 2016/4