Mia Madre

  Freitag, 19. Februar 2016 - 20:30 bis - 21:30

Eintritt: 5,00 €

Italien 2015
Kinostart; 19. November 2015
112 Minuten
FSK: ab 6; f

Regie/Produktion/Buch - und Darsteller von Giovanni: Nanni Moretti    
Kamera: Arnaldo Catinari    
Schnitt: Clelio Benevento    

Darsteller: Margherita Buy (Margherita), John Turturro (Barry Huggins), Giulia Lazzarini (Ada), Nanni Moretti (Giovanni), Beatrice Mancini (Livia), Stefano Abbati (Federico), Enrico Ianniello (Vittorio), Anna Bellato (Schauspielerin), Toni Laudadio (Produzent)   

Auszeichnungen:
Nanni Moretti, Internationale Filmfestspiele Cannes 2015, Preis der ökumenischen Jury

Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film"  ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.
Kurzkritik Filmdienst

Während anstrengender Dreharbeiten erfährt eine italienische Filmregisseurin, dass ihre Mutter im Sterben liegt. Ihre Überforderung stellt sich in realen Szenen, Träumen, Gedanken und Erinnerungen dar, wobei bedrückende Szenen im Krankenhaus mit absurd-witzigen Momenten auf dem Set wechseln. Nanni Morettis warmherziges, zutiefst menschliches Drama verharrt nicht in der persönlichen Aufarbeitung, sondern weitet sich zu einer Meditation über Liebe und Trauer. Vorzüglich gespielt und inszeniert, nimmt der Film auch durch die sorgfältig ausbalancierte Mischung aus dramatischen und komödiantischen Momenten für sich ein. - Sehenswert ab 14.  Katharina Zeckau ****

Filmhomepage, Programmkino.de, epd-Film, Filmgazette  
Pressespiegel   

3-minütiger Bericht vom Filmmagazin KinoKino von Bayern III:



Trailer (112 Sekunden):

   

ausführliche Kritik Filmdienst

Verschämt räumt Margherita die Aluminiumboxen mit dem in einem Imbiss erstandenen Abendessen in ihre Tasche zurück. Soeben ist ihr Bruder Giovanni am Bett der todkranken Mutter aufgetaucht, mit einem liebevoll selbst zubereiteten Menü für die alte Dame. Was für eine traurig anrührende Beobachtung und welch gelungenes Sinnbild für Margheritas ständiges Gefühl, nicht zu genügen.
„Mia Madre“ ist ein Film über das Leben, den Tod, die Familie und das Kino, und es ist ein Film darüber, wie man all dies zusammenzubringt beziehungsweise auch über die Unmöglichkeit, allem gerecht zu werden. Margherita ist eine Regisseurin, deren Teenager-Tochter Livia sich zunehmend von ihr zu entfremden scheint; sie selbst steckt nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten mitten in anstrengenden Dreharbeiten, während ihre Mutter Ada im Sterben liegt. Margherita ist zweifelsohne das Alter Ego von Regisseur Nanni Moretti, der in seinem bislang wohl persönlichsten Film den Musterbruder Giovanni spielt. Denn als Moretti 2011 „Habemus Papam“ realisierte, starb seine eigene Mutter, die wie die Mutter in „Mia Madre“ als Lehrerin arbeitete.
Doch der Film verharrt nicht in einer persönlichen Aufarbeitung, sondern weitet sich zur Reflexion über Realität und Fiktion, zur Meditation über Liebe und Trauer. Im typischen Moretti-Stil erzählt er dies in einer gut ausbalancierten Mischung aus schwer und leicht, dramatisch und komödiantisch. Den eher bedrückenden Szenen im Krankenhaus stehen kuriose Momente entgegen, in denen John Turturro als eitler US-amerikanischer Filmstar Margheritas Dreharbeiten in eine Farce verwandelt. Nicht zuletzt durch Turturros überdrehtes Spiel entstehen hier Sequenzen von großer Komik.
Doch die Dreharbeiten zu Margheritas sozialkritischem Film dienen keineswegs nur als vergnüglicher Gegenpol: Von Moretti sorgfältig in Szene gesetzt, skizzieren die Momente am Set den Charakter der Hauptfigur; sie zeichnen Margheritas manchmal brüske, ungerechte Art nach, zeigen aber auch ihre freundliche, liebevolle Seite, ihre Selbstzweifel, Unsicherheiten und ihre Überforderung angesichts ihrer beruflichen wie privaten Situation, ihre emotionale Unbehaustheit. Moretti erzählt diesen mentalen Zustand in einer stimmigen Mischung aus realen Szenen, Träumen, Gedanken und Erinnerungen; was davon was ist, lässt sich auf den ersten Blick oft nicht sofort erkennen.
So stellt der Film nicht nur auf der Ebene des Plots, sondern auch formal immer wieder die Frage nach der Realität, was diese ausmacht, in welchem Maße sie eine Frage der Perspektive und der eigenen Offenheit ist. Die Statisten seien ihr viel zu wenig „echt“, viel zu manikürt, gezupft und geschminkt, bemängelt Margherita einmal. So sähen die Leute heute nun mal aus, entgegnet ihr Assistent, und er hat wohl Recht.
Margherita wird von Margherita Buy gespielt, ohne die im letzten Jahrzehnt kaum einer der größeren italienischen Filme auszukommen schien – doch man versteht hier auch wieder, warum. Das Barsche und das Warmherzige vermag Margherita Buy auf eine sehr nahbare, verletzliche Weise zu verkörpern. Auch Giulia Lazzarini ist in der Rolle der sterbenden Mutter auf anrührende Weise ganz bei ihrer Figur. Einzig Giovanni bleibt etwas eindimensional, wirkt in seiner völligen Hingabe an die Pflege der Mutter (wofür er auch seinen Job kündigt) wie ein etwas lebensferner Wunschtraum – vielleicht eine trauernde Sehnsucht Morettis, beim Sterben seiner eigenen Mutter auf diese Weise anwesend gewesen zu sein. Auch das Ende des Films, wenn ehemalige Schüler die Wohnung der toten Ada aufsuchen und von ihrer großen Liebe zu der Lehrerin berichten, wirkt ein wenig pathetisch, was den Film an dieser Stelle auf eine vielleicht allzu persönliche Hommage einengt.
Doch sind dies kleine Einwände angesichts eines so warmherzig-menschlichen, ebenso reichen wie reifen Films, von dessen vielen schönen, schweren wie leichten Szenen eine beschwingte Sequenz besonders im Gedächtnis bleibt: Wenn Margheritas Tochter Livia endlich ihr Motorino bekommt und damit erste Fahrversuche unternimmt, in eleganten Kurven um Margherita und ihren Ex-Mann fährt, während die Eltern lachend vor und zurück und zur Seite springen, dann ist das wie ein Tanz inszeniert, ein Tanz des Lebens.

Katharina Zeckau, FILMDIENST 2015/23