Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne
Eintritt: 5,00 €
Komödie Frankreich/Tschechien 2015
Kinostart: 29. Oktober 2015
129 Minuten
FSK: ab 12; f
FBW: Prädikat besonders wertvoll
Regie: Xavier Giannoli
Buch: Xavier Giannoli, Marcia Romano
Kamera: Glynn Speeckaert
Musik: Ronan Maillard
Schnitt: Cyril Nakache
Darsteller: Catherine Frot (Marguerite), André Marcon (Georges Dumont), Michel Fau (Atos Pezzini), Christa Théret (Hazel), Denis Mpunga (Madelbos), Sylvain Dieuaide (Lucien Beaumont), Aubert Fenoy (Kyril von Priest), Sophia Leboutte (Felicity, die Frau mit Bart), Théo Cholbi (Diego), Jean-Yves Tual (M. Taupe)
Der Filmdienst ist seit Jahren die führende deutsche Kinofilmfachzeitschrift. Da die Kritiken des Filmdiensts nicht ohne weiteres zugänglich sind, drucken wir sie hier ab, unabhängig ob sie positiv oder negativ ausfallen. Unser Ehrgeiz ist es nicht, Interessierte mit hohlen Versprechungen oder plakativen Etikettierunen wie "Kunstfilm" oder "besonderer Film" ins achteinhalb zu locken. Die wenigstens Filme erhalten vom Filmdienst eine positive Kritik. Es ist daher durchaus so, dass Filme, die dort nicht so positiv "wegkommen", ansonsten durchweg positive Kritiken erhalten haben und wir auch einige Filme "klasse" gefunden haben, die vom Filmdienst kritisch bewertet worden sind. Es ist halt eine Meinung unter mehreren, aber in der Regel eine fundierte. Die höchste Auszeichnung ist das Prädikat "sehenswert", die Altersempfehlung ist eine pädagogische.
Kurzkritik Filmdienst
Im Jahr 1920 wünscht sich eine reiche Baronin trotz mangelnden Talents nichts sehnlicher, als eine gefeierte Operndiva zu sein. Die Hobby-Sängerin kommt ihrem Ziel näher, als sie von einem progressiven Musikkritiker nach einer Darbietung im privaten Kreis wegen ihrer passionierten Hingabe an ihre Musik hochgelobt wird. Frei nach der Vita von Florence Foster Jenkins liefert die Tragikomödie ein vielschichtiges Frauenporträt; zugleich spielt sie, indem sie die Sängerin mit der französischen Avantgarde-Bewegung in Zusammenhang bringt, clever mit der Hinterfragung des Kunst-Begriffs.
- Sehenswert ab 14
Filmhomepage, Wikipedia, Programmkino.de, epd-Film
Pressespiegel
3-minütiger Bericht zu dem Film vom Filmmagazin KinoKino von Bayern III:
Trailer:
ausführliche Kritik Filmdienst
Sehr plastisch macht Xavier Giannoli in seinem vielschichtigen Film deutlich, wie ein Künstler gemacht und dadurch letztlich selbst zum Kunstwerk wird. Da arbeiten der eigene Ehrgeiz und der anderer mit den Medien Hand in Hand, wobei es nicht immer um Kunst und Talent geht. Mit grotesk-komischen Mitteln deckt der Regisseur diese verkehrte Welt auf, veranschaulicht, wie sich alle einspannen lassen, weil sie von Marguerite profitieren. So auch ihr Lehrer Pezzini, der Oscar Wilde wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Gern nimmt er mit seinem illustren Tross das Geld und die hervorragende Verpflegung entgegen, auch wenn er es nicht schafft, Marguerites Stimme weiterzuentwickeln. Dass dies auf seine mangelnden Fähigkeiten als Gesangslehrer hindeuten könnte, erkennt er in seiner Selbstverliebtheit nicht. Offenbar verfügt er über keine Technik, mit der er den engen Raum bei Madame Dumont öffnen könnte. Sie stagniert trotz Unterricht.
Mit Madame Dumont gelingt dem Film ein beeindruckendes fiktives Frauenporträt, für das die US-amerikanische Sängerin Florence Foster Jenkins Pate stand und die von Catherine Frot überzeugend verkörpert wird. Giannoli spürt der Tragik solch einer Entwicklung nach, die darin liegt, dass die Protagonistin in ihrem falschen Selbstbild bestärkt wird. Der Film spielt im Jahr 1920, einer Zeit, als sich Frauen von dem traditionellen Bild der Weiblichkeit emanzipierten und die „Gleichheit der Geschlechter“ entdeckten. Sie trugen die Haare kurz und strebten den zahlreichen Amüsierlokalen zu, um Kleinkunst und Sinnlichkeit zu erleben. Marguerite dagegen hält am weiblichen Geschlechterideal des 19. Jahrhunderts fest. Ihr Wunsch, von ihrem sie bevormundenden Ehemann anerkannt und bewundert zu werden, findet bei ihm freilich kein Gehör. Freundlich hält sie der Baron auf Distanz, und da er eine arbeitende Frau für unschicklich hält, verliert diese sich in der Musik, die ihr gestattet, ihre Emotionen auszuleben.
Die ästhetisch durchkomponierte Ausstattung und der kunstvoll arrangierte Soundtrack machen wunderbar deutlich, dass Marguerite in den erlesenen Räumen des Schlosses eingesperrt ist wie in einen goldenen Käfig. Alles ist geschmackvoll drapiert, makellos spiegelt sich die Oberfläche. Doch die Freiheit, die sich die Protagonistin nimmt, ist eine falsche. Marguerite weiß nicht um ihre unzureichende Stimme, ihr unterentwickeltes Selbst, und so gleicht sie einer der vielen unglückseligen weiblichen Opernfiguren. Der Zeremonienmeister Madelbos spielt bei ihrer Selbstinszenierung als Künstlerin die Hauptrolle: Über seine Figur kann der Film wie ein Metakommentar zur Traumfabrik gelesen werden. Der Butler bedient nüchtern die Apparatur, arrangiert und schießt die Fotos, die Marguerites angeblich große Opernengagements dokumentieren. Damit führt er stellvertretend vor, wie ein Regisseur sein Publikum manipuliert und dessen Gelüste und Gefühle wie Sensationslust, Mitleid und Verachtung zu befriedigen sucht.
Heidi Strobel, FILMDIENST 2015/22
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