Señor Kaplan

Freitag, 25. September 2015 - 20:30

Eintritt: 5,00 €


ESPERANDO A MISTER KAPLAN
Tragikomödie Uruguay/Deutschland/Spanien 2014
Kinostart: 16. Juli 2015
98 Minuten



Regie/Buch/Produktion: Álvaro Brechner    
Kamera: Álvaro Gutiérrez    
Musik: Mikel Salas    
Schnitt: Nacho Ruiz Capillas    


Darsteller: Héctor Noguera (Jacob Kaplan), Néstor Guzzini (Wilson Contreras), Rolf Becker (der Deutsche), Nidia Telles (Rebecca), Nuria Fló (Lottie), Leonor Svarcas (Estrella), Gustavo Saffores (Isaac), Hugo Piccinini (Elias), Cesar Jourdan (Carlos), Jorge Bolani (Kilgman)   
P1

Kurzkritik Filmdienst

Ein alter Mann, der einst den Holocaust überlebte und seitdem in Uruguay lebt, möchte in seinem Leben noch etwas tun, was Spuren für die Nachwelt hinterlässt. Als er meint, einen untergetauchten Ex-Nazi aufgespürt zu haben, wittert er seine Chance, noch etwas Heroisches zu tun. Ein korrupter Ex-Polizist soll ihm dabei helfen. Eine wunderbar skurrile Tragikomödie, deren Hauptfiguren auf den Spuren von Don Quijote und Sancho Pansa wandeln. Ebenso warmherzig wie melancholisch philosophiert der Film über den „Windmühlen-Kampf“ um Lebenssinn.
 - Sehenswert ab 14.   

Trailer:


ausführliche Kritik Filmdienst

 Den trotz der hochsommerlichen Temperaturen höchst elegant gekleideten Gästen einer mittäglichen Cocktail-Party der jüdischen Gemeinde von Montevideo bietet sich ein ungewöhnliches Bild: Ein hagerer alter Mann mit dünnem, weißem Bart klammert sich ängstlich an ein Sprungbrett. Drei Meter unter ihm liegt der einladend blaue Swimming-Pool im grellen Sonnenlicht. Will er ins Wasser springen? Wird er fallen? Kann er überhaupt schwimmen? Nein, kann er nicht, und der Gang aufs Sprungbrett ist für Jacob Kaplan eine Art existenzielle Mutprobe. Denn, so der Protagonist, es gibt nichts, was ein starker Wille nicht in den Griff bekommen könnte. Aber da hat er sich offensichtlich verschätzt, denn als er endlich ins Wasser fällt, strampelt er um sein Leben, sodass seine Frau in ihrem eleganten Kleid ins Wasser springt, um ihn zu retten. Dann fahren sie in ihren nassen Kleidern nach Hause. Beim Ausparken richtet Jacob noch einen Totalschaden an einem anderen Auto und verliert seinen Führerschein. Jacobs Familie ist sehr besorgt.
In einer einzigen Szene lässt Regisseur Álvaro Brechner seinen teils heroischen, teils sturen Protagonisten in seinen ebenso komischen wie ernsthaften Facetten Kontur gewinnen. Jacob Kaplan, Sohn osteuropäischer Juden, befindet sich in einer tiefen Sinnkrise und grübelt darüber nach, wie er noch eine Spur in dieser Welt hinterlassen kann. Er ist fast 77 Jahre alt und leidet darunter, immer noch nichts Bedeutendes für die Nachwelt hinterlassen zu haben. Im frühen Alter überlebte er den Holocaust, und von Kindesbeinen an wurde ihm suggeriert, ein ganz besonderer Mensch zu sein. Jetzt will er mindestens eine Art Erzvater Jakob sein, mindestens eine Spur im Leben hinterlassen, damit etwas bleibt, wenn er die Welt verlässt.
Nach einem Fernsehbericht über die Flucht von NS-Verbrechern nach Südamerika und als ihm seine Enkelin von einem zurückgezogenen alten Deutschen erzählt, bekommt sein orientierungsloser Ehrgeiz ein Ziel: In den Fußstapfen des Eichmann-Jägers Simon Wiesenthal möchte er einen der letzten in Lateinamerika versteckten Nazis aufspüren, ihn entführen und der israelischen Justiz ausliefern. Er beginnt, dem Deutschen nachzuspionieren, aber er braucht einen Helfer und Komplizen: den übergewichtigen und korrupten Ex-Polizisten Wilson Contreras, den Jacobs Familie eigentlich als Fahrer für den führerscheinlosen Vater ausgewählt hatte.
„Señor Kaplan“ hat viel von Miguel de Cervantes’ großem Roman „Don Quijote“. Auch hier erhebt sich ein alter Mann aus dem bequemen Lebensabend, um die Mission seines Lebens zu erfüllen, auch gegen den Widerstand seiner Familie. Jacob, vornehm und etwas steif, hochgewachsen und hager, will Nazi-Verbrecher jagen, wie Cervantes’ Ritter von der traurigen Gestalt einst Riesen und Dämonen. Gemeinsam mit seinem Sancho Pansa, dem bodenständigen ehemaligen Ordnungshüter, stürzt er sich in absurde Abenteuer, auch um den Holocaust nicht vergessen zu lassen, eine Vergangenheit, die selbst seine Freunde bei der jüdischen Gemeinde weit von sich geschoben haben.
„Señor Kaplan“ wäre unter anderen Umständen vielleicht peinlicher Klamauk oder eine pathetische Thriller-Parodie geworden. Die geniale Gratwanderung zwischen schwarzem, oft melancholischem Humor und der menschlich-allzumenschlichen Tragikomödie ist indes eine besondere Stärke uruguayischer Filme, wie etwa „Whiskey“, „El baño del papa“ oder „Gigante.“ Álvaro Brechner steht diesen in nichts nach und sieht das Leben als einen ständigen Balanceakt zwischen Drama und Komödie. Sein Film ist eine wunderbar skurrile Komödie, reich an liebenswerten Nebenfiguren, changierenden wischen Melancholie, Spannung und Lebensphilosophie; ein sehr warmherziger Film, der in wunderschönen Sommerbildern von Heldentaten und Halbherzigkeiten am Ende des Lebens erzählt.
Wolfgang Hamdorf, FILMDIENST 2015/14