Stories We Tell

Freitag, 06. Februar 2015 - 20:30

Eintritt: 5,00 €

Kanada 2012
Kinostart: 27. März 2014
Länge:  113 Minuten
FSK:  ab 0; f

Produktion:  Anita Lee    
Regie/Buch:  Sarah Polley (Am 11. Mai als Schauspielerin in "Mein Leben ohne mich" zu sehen.)  
Kamera: Iris Ng    
Verleih: Fugu Filmverleih


 

Kurzkritik Filmdienst

Die Schauspielerin und Regisseurin Sarah Polley sucht nach den Spuren ihrer früh verstorbenen Mutter. Im Austausch mit Geschwistern, dem Vater und Verwandten erfährt sie Familiengeschichte(n) als mehrstimmige, teils widersprüchliche Erzählungen, in denen Erinnerungen, persönliche Erlebnisse, Gerüchte und die Lust an Mythenbildung miteinander verschmelzen. Der unterhaltsame Dokumentarfilm legt seine formalen Mittel wiederholt offen und hinterfragt selbstkritisch die eigene Position. Das verleiht ihm ein hohes Maß an Selbstreflexivität. - Sehenswert ab 14.
 

Trailer - im Kino achteinhalb auf Deutsch:

ausführliche Kritik Filmdienst

Ein Film legt seine Mittel offen: er zeigt ein Tonstudio, Sprecherkabine und Mischpult, das Einrichten der Kamera in verschiedenen Wohnzimmern, Mikrofone auf dem Küchentisch, leichte Anspannung und Aufgeregtheit bei den zu befragenden Personen, nervöses Herumgewitzel über das eigene Aussehen vor laufender Kamera etc. „Stories We Tell“ beginnt geradezu programmatisch als „Making of“, als ein Film, der sich selbst und seine Legitimation ständig neu befragt. Was sie von der Idee dieses Dokumentarfilms eigentlich halten, will die Regisseurin und Schauspielerin Sarah Polley von ihren Geschwistern und Verwandten, aber auch von ihrem Vater wissen. Eine ihrer Schwestern fragt, wen zum Teufel ihre Familiengeschichte denn eigentlich interessieren solle…
Polley befragt und verhört – so zumindest nennt sie es selbst. Hauptfigur und Zentrum der sich mehrstimmig erzählenden Geschichte ist die früh verstorbene Mutter und Ehefrau. Sie wird in die Gegenwart zurückgeholt durch Erinnerungen und Fotos, vor allem aber durch bewegte Bilder: Super-8-Aufnahmen zeigen eine Frau, die augenscheinlich das Leben umarmte, die feiert, tanzt, in die Kamera lacht. Die intensitätssteigernden Effekte dieser „Home Movies“ sind in den Filmaufnahmen ihres Mannes hingegen gänzlich abwesend: wann immer Michael Polley Menschen vor seiner Linse hat, schwenkt die Kamera weg und richtet den Blick auf Hausdächer, Bäume und Felder. Diese feinen Unstimmigkeiten, die auf eher hintergründige Weise Fragen stellen an das Glück oder Scheitern dieser Ehe und Familie, spinnen die eigentlich interessante Erzählung – und weniger, dass die Regisseurin das offensichtlich Widersprüchliche durch die Montage demonstrativ ausstellt.
All dem exponiert Offenen, Suchenden und Unwissenden zum Trotz – in einem vorangestellten Zitat von Margaret Atwood ist die Rede vom „Durcheinander, einem fernen Rauschen, einer Blindheit, einem Scherbenhaufen“ – ist der Film clever gebaut, mit einem dramaturgisch durchgearbeiteten Script. Michael Polley nimmt dabei die Rolle eines Geschichtenerzählers ein, der seine Rekapitulation der Ereignisse in Form eines geschriebenen Textes im Studio einspricht. Diese „romanhaften“ Formen – dazu zählen auch aus dem Off vorgetragene E-Mail-Korrespondenzen – stehen neben dokumentarischen und pseudo-dokumentarischen Erzählweisen.
Das eigentliche Motiv, diesen Film zu machen, dringt erst nach und nach an die Oberfläche: ausgehend von den hartnäckig sich haltenden Gerüchten, Sarah Polley sehe ihrem Vater ganz und gar nicht ähnlich, hat die Regisseurin irgendwann begonnen, geradezu detektivisch den Spuren der Mutter nachzugehen, wobei sie dann auf ein gut gehütetes Geheimnis stieß.
Der Intimisierungsgefahr, die dieser Art von – unweigerlich emotionaler –Familienaufarbeitung eigen ist, arbeitet der Film auch deshalb entgegen, da er die Geschichte immer wieder auf die allgemeine Ebene des Geschichtenerzählens hebt. Es geht in „Stories We Tell“ ganz wesentlich um Erinnerung, persönliche Mythenbildung und nicht zuletzt um die Frage der Autorschaft. Polleys leiblicher Vater, der erst im Laufe des Films aus dem Hintergrund auftaucht, kritisiert an einer Stelle ganz entschieden das filmische Konzept. Die Wahrheit würde man auf diese Weise nicht ergründen – er ist der Meinung, nur er könne die Geschichte adäquat erzählen.
Erst im letzten Teil enthüllt Polley, dass ein Großteil der Super-8-Aufnahmen nachinszeniert wurde; man sieht sie mit den Darstellern am Set – als Regisseurin einer Fiktion. Durch diesen Trick zeigt sich Polley einmal mehr als Filmemacherin, die alles unter Kontrolle hat. Jede Kritik, jeder Widerspruch ist in den Film schon eingebaut, jeder Nostalgieverdacht aus dem Weg geräumt – auch weil Polley immer wieder selbst zur Super-8-Kamera greift und damit den Status der alten Aufnahmen relativiert. In seiner Selbstreflexivität ist das sicherlich smart, aber es nimmt dem Film auch ein großes Stück Offenheit. Das „ferne Rauschen, die Blindheit“: davon hätte man in diesem charmanten Film gerne mehr gesehen.
Esther Buss, FILMDIENST 2014/7