Im Labyrinth des Schweigens

Freitag, 12. Dezember 2014 - 20:30

Eintritt: 5,00 €

Deutschland 2014
Kinostart 6. November 2014
123 Minuten
FSK: ab 12; f
FBW: Prädikat besonders wertvoll 

Produktion: Uli Putz, Jakob Claussen, Sabine Lamby    
Regie: Giulio Ricciarelli    
Buch: Elisabeth Bartel, Giulio Ricciarelli    
Kamera: Martin Langer, Roman Osin    
Musik: Niki Reiser, Sebastian Pille    
Schnitt: Andrea Mertens   

Darsteller: Alexander Fehling (Johann Radmann), André Szymanski (Thomas Gnielka), Friederike Becht (Marlene Wondrak), Johannes Krisch (Simon Kirsch), Hansi Jochmann (Erika Schmitt), Johann von Bülow (Otto Haller), Robert Hunger-Bühler (Walter Friedberg), Lukas Miko (Hermann Langbein), Gert Voss (Fritz Bauer), Lisa Martinek (Inge), Robert Mika (Josef Bichinsky)

Filmhomepage, Wikipedia, EPD-Filmmagazin, Filmgazette, Programmkino.de, alle Daten zum Film auf Filmportal.de     

Evangelische Filmjury: FILM DES MONATS November 2014

Schulmaterial: Stiftung Lesen, Kinofenster, Vision Kino   

Kurzkritik Filmdienst

Ende der 1950er-Jahre stößt ein ­junger Staatsanwalt auf die Spur von NS-Verbrechern, die unbehelligt in der westdeutschen Gesellschaft leben. Seine Ermittlungen erfahren allgemein Ablehnung, bis ihn der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer unterstützt und ihn dazu ermuntert, die Täter zur Verant­wortung zu ziehen. Die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitz-Prozesse wird als ambitionierter Politthriller erzählt. Es gelingt dem Film dabei der reflektierte Versuch, mit Mitteln des Spannungskinos ein noch weitgehend unthematisiertes Kapitel der ­deutschen Geschichte aufzuschlagen. - Sehenswert ab 14.

 

Trailer:



Interview mit Alexander Fehling


Gegen alle Widerstände: Die Auschwitzprozesse | Kulturjournal | NDR


Regisseur Giulio Ricciarelli beantwortet Fragen des Kinopublikums

 
Im Labyrinth des Schweigens - Deutschlandpremiere 


ausführliche Kritik Filmdienst

Oskar Roehler hat mit »Lulu & Jimi« und »Quellen des Lebens« den Anfang gemacht. Nun scheint sich der deutsche Film mehr als 30 Jahre nach Fassbinders Frauen-Trilogie »Die Ehe der Maria Braun«, »Lola« und »Die Sehnsucht der Veronika Voss« wieder für die Zeit zwischen dem Ende im »Führerbunker« und der antiautoritären Revolte von 1968 zu interessieren. Erst »Wolfskinder« , dann »Phoenix« und nun »Im Labyrinth des Schweigens« – drei unterschiedliche Filme, drei unterschiedliche Erzähl-Strategien und drei unterschiedliche Haltungen zur Geschichte.
Wie rekonstruiert man Geschichte aus der Ex-Post-Perspektive und hält dabei die eigene, gewählte Perspektive als »vorläufig« in der Schwebe? Giulio Ricciarelli hat sich in seinem Spielfilmdebüt dafür entschieden, im Rahmen von bekannten Genre-Konventionen des Polit-Thrillers vom Neubeginn, alten Seilschaften und wechselnden Bewusstseinszuständen und Lernprozessen zu erzählen. Im Mittelpunkt steht die Figur des jungen, ehrgeizigen und politisch etwas naiven Staatsanwalts Johann Radmann (Alexander Fehling), der 1958 eher zufällig mit der deutschen Geschichte konfrontiert wird. Ein Auschwitz-Überlebender hat in einem Gymnasiallehrer einen SS-Mann wiedererkannt, aber niemand scheint sich für diesen Skandal zu interessieren, sieht man einmal von dem linksliberalen Journalisten Gnielka ab, der die Sache publik machen will. Radmann beginnt sich für den Fall zu interessieren, eckt aber schnell bei seinen Vorgesetzten und Kollegen an und merkt, dass man sich in der westdeutschen Bevölkerung offenbar weitgehend darauf verständigt hat, die Verbrechen, die während der NS-Zeit begangen wurden, kollektiv zu beschweigen. Unterstützung finden Radmann und Gnielka lediglich bei dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der klarstellt, dass die meisten Verbrechen längst verjährt sind. Nur die Mordfälle noch nicht. Radmann wird von Bauer mit der Leitung der Ermittlungen betraut und beginnt mit Zeugenvernehmungen, die auch deshalb schwierig sind, weil Radmann selbst nicht so recht weiß, was in Auschwitz geschehen ist.
Es ist eine heikle Gratwanderung, die Ricciarelli unternimmt, um mit den Mitteln des Spannungskinos die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitzprozesse zu erzählen. Die Nebenfiguren stehen dabei für unterschiedliche und widersprüchliche Haltungen zwischen Verdrängen und Zukunftsorientierung innerhalb der Nachkriegsgesellschaft und dem sich abzeichnenden Wirtschaftswunder, während der Protagonist eine Entwicklung vom korrekten, aber naiven Staatsanwalt zum moralisch an der Grenze zur Hybris sich bewegenden Ermittler durchläuft, der sich schließlich schämt, Deutscher zu sein.
Vieles in »Im Labyrinth des Schweigens« folgt bis zu einem gewissen Punkt Genre-Konventionen, die man aus italienischen Mafia-Filmen oder US-Politthrillern der 1970er-Jahre wie etwa »Die Unbestechlichen« kennt – bloß, dass vom Verbrechen hier keine Lebensgefahr mehr auszugehen scheint, weil die Täter wie Fische im Täter-Volk schwimmen. Andere Szenen verweisen auf die westdeutsche Filmgeschichte der 1950er-Jahre, auf Filme wie »Rosen für den Staatsanwalt« oder »Der Mann, der sich verkaufte« – Alexander Fehling erinnert sogar stark an den jungen Hansjörg Felmy.
Unscharf bleibt die Figur des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, der als graue Eminenz die Fäden in der Hand hält, den nichts zu überraschen vermag und der hinter den Kulissen auch noch nach den dicken Fischen Eichmann und Mengele angelt. Bedenkt man, dass auch Petzolds »Phoenix« Fritz Bauer gewidmet ist, könnte man in »Phoenix« und »Im Labyrinth des Schweigens« auf reizvolle Art und Weise zwei höchst unterschiedliche, aber gleichermaßen reflektierte Formen des Erzählens konfrontieren und beide auf das visuell ambitioniertere und untergründig komplexere Spätwerk Fassbinders beziehen. Am Ende reicht die Aktenlage aus, um gegen zwei Dutzend Täter das Verfahren zu eröffnen und damit eine Lunte zu legen, die gleichermaßen zur Fernsehserie »Holocaust« wie nach Stammheim führt. Es wird sich zeigen, ob diese ehrenwerte Mischung aus Verdichten, Andeuten und Antizipieren aus der Ex-Post-Perspektive heute, ein halbes Jahrhundert später, noch Menschen ins Kino locken und dort Wirkung zeigen kann.
Ulrich Kriest, FILMDIENST 2014/23